Gaming-Spleens habe ich vermutlich mehr als genug. Ich maule nervige NPCs an, bin oft eine heillose Komplettistin, spiele meistens auf “leicht”, weil mir die motorische Herausforderung oder das Timing beim Spielen vollkommen egal ist, habe selten irgendeinen Ehrgeiz, gegen irgendwen zu gewinnen, und sammle dafür jeden Schnipsel ein, der mir Informationen über die Figuren und den Weltenbau gibt. Nun hat Guddy auf Fried Phoenix zu einer Blogparade über Gaming-Spleens aufgerufen und dabei davon erzählt, dass ihre Heldin in den meisten RPGs dunkle Haare haben muss, was mich noch an eine weitere Angewohnheit meinerseits erinnert hat: Ich kann nicht aus der Rolle fallen.
Oder anders ausgedrückt: Ich kann einfach nicht entgegen dem Charakter meiner Figur spielen. Mein Avatar in einem Rollenspiel ist oft weniger ein Alter Ego als eine eigene Figur, die ihre eigenen Stärken und Schwächen hat. Deshalb kann mir ein Spiel noch so viele Entscheidungsmöglichkeiten anbieten, manchmal bringe ich es genau deswegen schlicht nicht übers Herz, bestimmte Versionen auszuprobieren, weil sie einfach vollkommen dem widersprechen, wie ich mir meine Spielerfigur vorstelle. Noch während ich im Charakter-Editor stecke, entwickle ich normalerweise eine grobe Idee, welche Person ich nun spielen möchte. Welche Wünsche und Träume sie hat, was sie hasst und wie sie tickt.
Deshalb begleiten mich auch seit “Skyrim” mehr oder weniger regelmäßig drei Figuren: Elia, Ria und Cara sind – in dieser Reihenfolge – die drei Heldinnen, mit denen ich von Himmelsrand bis Thedas oder die Milchstraße alles rette, das mir so unterkommt. Ihr Aussehen variiert, manchmal auch die Namen, aber im Groben kehren die drei immer wieder zurück.
Elia ist immer neugierig und wissbegierig, fragt alles und jeden über ihre Welt und deren Geheimnisse aus und rennt in jede Ruine, die sie finden kann. Sie war bereits eine Elfenmagierin, eine Wissenschaftlerin, wahnsinnige Abenteurerin in den Tiefen jeder Ruine, die sie finden konnte, und militärische Strategin, auch wenn sie eigentlich diejenige unter meinen Standard-Chars ist, mit der ich am friedlichsten spiele. Sie ist diejenige, die am meisten verkopft ist. Ihre Freunde waren immer Magier, Wissenschaftler und andere auf der Suche nach den Dingen, die ihre Welt zusammenhalten. Traditionell starte ich mit ihr in eine Geschichte oder Umgebung, die ich noch nicht kenne, um so viel wie möglich über die Welt herauszufinden.
Kenne ich mich in der Welt aus, ist Ria an der Reihe: Sie hat mal als mürrische Dunkelelfin in “Skyrim” begonnen und ist inzwischen meine Frau fürs Grobe. Mit ihr spiele ich pragmatisch und oft auch brutaler. In Fantasy-RPGs ist sie meistens eine Kriegerin mit klaren Prinzipien. Ihre Loyalität ist praktisch nicht zu erschüttern, aber Gnade dem Gott, der es sich doch mit ihr verscherzt. Was Ria allerdings normalerweise nicht tut, ist das Gesetz zu brechen. Da kommt Cara ins Spiel. Sie ist wahlweise meine Attentäterin oder Diebin mit zweifelhafter Moral und kaum noch Moral. Sie denkt zu allererst an sich und ist glücklich damit. Mit ihr treffe ich die moralisch zweifelhaften Entscheidungen in einem Spiel: Sie klaut, sie mordet und sie denkt nicht einmal daran, eine Heldin zu sein, nur weil das jemand von ihr verlangt.
Gefällt mir ein Spiel, dann starte ich mindestens zwei Mal in das Abenteuer, um möglichst viele Facetten kennen zu lernen. Ich muss das auch tun, wenn ich dieses Ziel erreichen will, weil es mir einfach jede Illusion einer Geschichte zerstören kann, wenn ich mich entgegen dessen verhalte, wie ich meine Heldin wahrnehme. Selbst bei Spielen mit vorgegebenen Protagonisten wie z.B. “The Witcher 3” habe ich immer eine grobe Vorstellung der Hauptfigur im Kopf und spiele dementsprechend. In “Assassin’s Creed: Syndicate” laufe ich deshalb auch nicht mit Evie Frye wild mordend durch die Straßen, nachdem mir das Spiel sie eigentlich durch und durch als Attentäterin in den Schatten präsentiert, die heimlich vorgeht und eben nicht auffällt. Suche ich den offenen Kampf, wechsle ich zu ihrem Bruder Jacob, weil das zu ihm passt, aber Missionen, in denen ich mich unauffällig verhalten will oder muss, die passen zu Evie.
Aus diesem gedanklichen Mechanismus heraus gibt es übrigens in mehr als einem Spiel ein paar Entscheidungen, Questreihen oder Kampfstile, die ich nie gespielt habe und vermutlich auch nie spielen werde. Sei es weil ich keine(n) passenende(n) Held(in) dafür habe oder weil ich der festen Überzeugung bin, dass es nicht zu dem vorgegebenen Protagonisten passt. Selbst meine selbsterstellten Heldinnen gehören für mich zu einer Geschichte und sobald sie tatsächlich mit dieser Geschichte interagieren sichtbar auftreten, haben sie nun einmal auch einen Charakter und würden manche Dinge nicht tun und manche NPCs nicht mögen. Und ich, deren größter Gaming-Spleen wahrscheinlich damit die Fixierung auf Story und Weltenbau ist, brauche eben beim Spielen genau das: Lebendige Figuren.
6 Comments
Blogparade: Gaming-Spleen - Auswertung auf Fried Pheoenix! - Kellerkinder
9. Juli 2017 at 14:02[…] Geekgeflüster […]
Auswertung Blogparade: Gaming-Spleens | Fried Phoenix
5. Juli 2017 at 17:13[…] Aurelia steht die Lebendigkeit der Figuren im Fokus, weshalb sie das handeln ihrer Avatare stark an deren Charakter anlehnt. Wenn der Charakter […]
Geekgeflüster
28. Juni 2017 at 19:09Ja, Geralt hat mehrere potentielle “Love Interests”, wobei storytechnisch tatsächlich eine Art Liebesbeziehung nur zu Triss und/oder Yen erzählt wird. Ich habe an Witcher auch bestimmt 1/2 oder 3/4 Jahr gespielt und bin zum Schluss nur noch durchgesprintet, um es irgendwie für mich abzuschließen. Hatte für mich sehr viele Probleme und verstehe den Hype darum nicht, aber lass dir ruhig Zeit und dich ein bisschen treiben. Ich hab’s zwischendrin auch mal ein paar Monate liegen gelassen und dann ging’s wieder etwas besser. 😉
Mara
28. Juni 2017 at 19:04Ahh, das kann man entscheiden? Okay, so weit bin ich noch nicht 😀
Momentan hänge ich irgendwo in Novigrad fest und komme nicht wirklich weiter – bin noch so überwältigt und fertig von Horizon Zero Dawn! The Witcher kann da storytechnisch und vom Gameplay her (für mich) leider leider nicht mithalten, deswegen fehlt mir irgendwie die Motivation zum Weiterspielen! 😀
Geekgeflüster
28. Juni 2017 at 15:17Hehe, Witcher hat mich zwar insgesamt nicht wirklich gepackt bekommen, deshalb war das da bei mir nicht so krass, aber tatsächlich habe ich deshalb Geralt mit Triss und Yen anbandeln und sich dann für Triss entscheiden lassen, weil es in meinem Kopf unlogisch erschien, dass Geralt seine (Ex-)Große Liebe so einfach aufgibt, es mir aber gleichzeitig nicht logisch erschien, dass eine starke Figur wie Yen sich Geralt (nochmal) antut bzw. die beiden sich gegenseitig ernsthaft länger aushalten 😀 (Ich liebe Yen immer noch dafür, dass sie diejenige in diesem Spiel ist, die Geralt ständig anraunzt xD)
Mara
28. Juni 2017 at 15:03Genau so geht es mir auch; meine typische Protagonistin heißt Rienne!
Sie ist unabhängig, trifft moralisch nicht immer einwandfreie Entscheidungen, hilft bei Gelegenheit zwar anderen Leuten, denkt aber trotzdem vor allem an ihr eigenes Wohl und kann mit Magie meistens absolut nichts anfangen!
Wenn man sich seinen Charakter nicht selbst erstellen kann, übernehme ich ihre Charakterzüge trotzdem irgendwie – weil du ja den Witcher als Beispiel hattest: Ich lasse ihn nie irgendeine Affäre haben, weil ich dann immer das Gefühl habe, Yennefer zu betrügen und Rienne so was auch niemals machen würde! 😀
Ich glaube, es ist einfach für das Spiel an sich wichtig, sich für einen Charakter zu entscheiden und dann auch an diesem festzuhalten – nur so machen Geschichte und Welt dann auch wirklich Spaß! 🙂