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“Kingdom Come: Deliverance” und “A Woman’s Lot” sind immer noch Realsatire

6. August 2020

Kingdom Come: Deliverance - Theresa spricht über ihre Love Interests
“Kingdom Come: Deliverance” war und ist ein mindestens kontrovers diskutiertes Spiel. Und auch wenn die Diskussion eigentlich längst abgeflaut ist, lohnt es sich doch, einmal einen Blick auf eines der DLCs des Spiels zu werfen. Denn “A Woman’s Lot”, das den Fokus auf die Frauen von Skalitz und im Besonderen die Müllerstochter Theresa verschiebt, erzählt sehr viel über Gender und “Kingdom Come: Deliverance” – Nur vermutlich auf eine andere Art als geplant.

Eigentlich ist es sogar sehr ironisch. Seit Release des DLCs scheinen Fans des Hauptspiels es nicht müde zu werden, zu betonen, dass die feministische Kritik an “Kingdom Come” doch ungerecht sei, schließlich gibt es ja ein DLC über die Frauen des Spiels. Und wie kann ein Spiel frauenfeindlich sein, das sich so viel Zeit nimmt, Frauengeschichte zu erzählen? Tatsächlich beweist “Kingdom Come” auch mit “A Woman’s Lot” wieder, dass gut erzählte Frauenfiguren mehr brauchen als nur ihre bloße Existenz. Denn ja, das DLC gibt es. Und ja, es gibt sich wenigstens oberflächlich Mühe, seine Frauenfiguren ins Zentrum zu rücken. Aber Nein, “Kingdom Come” ist dadurch nicht weniger frauenfeindlich, sondern scheitert erneut an sich selbst.

Das schwere Schicksal, eine Frau zu sein

Tatsächlich trifft “A Woman’s Lot” bzw. “Das Los einer Frau” als Titel des DLCs seinen Inhalt doch sehr genau: Frauen, so lautet die Annahme, haben nur einen sehr eng abgesteckten Spielraum und ihr bloßes Überleben ist grundsätzlich beschwerlich und in vielen Fällen von Gewalt geprägt. Wenn ich zu Beispiel mit Theresa kurz Kunesch anspreche, der auch zu Beginn des Hauptspiels kurz auftritt, kann ich erfahren, dass seine Frau schon länger verreist ist und ihn ziemlich sicher verlassen hat. Wobei “verlassen” hier eigentlich das falsche Wort ist, “fliehen” wäre vermutlich besser. Denn Kunesch ist nicht nur Theresa gegenüber grundlos sehr aggressiv, im Gespräch wird auch recht klar impliziert, dass er seine Frau sehr sicher nicht gut behandelt, vermutlich auch sogar geschlagen hat.

Und genau das ist der Grundtenor, der schon im Hauptspiel durchklang, im DLC aber erst richtig deutlich wird: Das Los einer Frau, das bedeutet Leid und Elend oder wenigstens das Wissen darum, dass beides an jeder Ecke lauern kann. Das ist im Grunde nicht überraschend und schlicht typisch für diese Art von Mittelalterrezeption, die das Mittelalter im Allgemeinen eben als düstere, brutale Zeit begreift, muss aber angesichts des Anstrichs von Neutralität und Seriösität, den sich Studio und Spiel geben, eben auch so benannt werden. Mit “A Woman’s Lot” hätte Warhorse die große Chance gehabt, kreativ mit der Vielfältigkeit von Frauenleben im 15. Jahrhundert umzugehen, hat aber genau das nicht getan.

Kingdom Come: Deliverance - Bianca erzählt Theresa, dass ihr Vater sie an den reichsten Mann der Gegend verheiraten will

Stattdessen präsentiert das DLC ein weiteres Mal lieblos geschriebene Frauenfiguren, die nur in Relation zu Männern existieren. Heinrichs Mutter, bei der es aus Heinrichs Perspektive vielleicht noch verständlich war, dass sie nur “Mutter” genannt wird, heißt auch aus Theresas Perspektive nur “Heinrichs Mutter” und tatsächlich scheint das auch sonst die einzige Bezeichnung zu sein, die das Spiel für die Figur übrig hat. Damit ist sie nicht allein, es gibt einige namenlose (weibliche) NPCs, aber bei einer doch so zentralen Figur ist diese fehlende Benennung doch sehr bitter.

Auch mit vielen der anderen Frauen, die in Skalitz so leben, kann ich als Theresa reden, einige nennen sie sogar abgekürzt “Thea” und scheinen wenigstens lose mit ihr befreundet zu sein. Statt hier aber Frauenfreundschaften aufzumachen, die selbst noch unter der Prämisse des “(schweren) Los einer Frau” funktionieren könnten, scheint es immer um Männer zu gehen. Bianca, Heinrichs Freundin, die im Angriff auf Skalitz umkommen wird und enger mit Theresa befreundet zu sein scheint, tut alles, was sie tut, nur um Heinrich zu gefallen. Johanka, ebenfalls enger mit Theresa befreundet, beginnt einen heillos absurden Dialog, der sich zuerst so anhört als ob Theresa und Johanka romantische Gefühle füreinander hätten, nur um im letzten Moment noch die Kurve zu kratzen und zu offenbaren, dass Johanka nur Hilfe dabei braucht, die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu ziehen, damit der sie zum Tanzen auffordert.

“Kingdom Come: Deliverance” ist und bleibt “Kingdom Come: Deliverance”

Nichts davon kommt überraschend, “Kingdom Come: Deliverance” ist und bleibt schlicht, was es ist. Ein insgesamt recht frauenfeindliches Spiel, das sich mit großen Augen in einem Traum von einem sehr weißen, sehr heteronormativen und sehr männlichen Mittelalter ergeht. Das war auch für das DLC vorauszusehen, macht es aber nicht weniger lächerlich. Denn “Kingdom Come” begreift seine Frauen nicht nur als gesellschaftlich eingeschränkt, diskriminiert oder sogar rechtlos, sondern schlicht als unmündige Wesen, deren Welt sich einzig und allein um Häuslichkeit und Familie dreht.

Selbst, wenn Theresa mit Bianca in den Wald geht und sich gegen einen wilden Hund verteidigen muss oder wenn sie sich von Heinrich zum Schwerttraining überreden lässt, passiert das nur aufgrund und im Rahmen dieser Verknüpfung von Weiblichkeit und Häuslichkeit. In den Wald gehen die Frauen nur, weil Biancas Leben sich nur um Heinrich zu drehen scheint und sie unbedingt noch Retterschnaps für ihn brauen will, und Theresa trifft Heinrich auch nur beim Training, weil Bianca ihm ein Bier bringen lassen will, aber nicht selbst aus dem Gasthaus ihres Vaters wegkann, während aber gleichzeitig Theresa auch im DLC bereits als Heinrichs Love Interest inszeniert und erzählt wird. Ganz egal, was die Frauen von Skalitz sagen oder tun, es scheint immer an ihre (zukünftigen) Ehemänner, Väter, Brüder oder Söhne geknüpft zu sein, während sie gleichzeitig auf surreale Weise durch eine Art Nebel der Zufriedenheit zu wandeln scheinen. (Vielleicht kehren die Dörflerinnen auch deshalb weiterhin den Dreck vor ihren Häusern.)

Kingdom Come: Deliverance - Theresa und Heinrich kämpfen zum Training

Dieser Nebel ist wichtig, denn er ist Teil dessen, was dieser Betonung von Häuslichkeit und Pflege einen ganz besonders bitteren Nachgeschmack verleiht. All das ist ein zentraler Bestandteil der Idylle von Skalitz vor seiner Zerstörung. Wenn überlebende Frauen wie Theresa oder Johanka danach teilweise erzwungener Maßen mal mehr mal weniger aus dieser Schablone ausbrechen, dann tun sie das im Zuge einer schweren Krise und nur in Folge eines massiven Einschnitts in ihr Leben. Es ist ein Phänomen der Krise, dass sich ihr Leben plötzlich nicht mehr nur rein darum dreht, einen Mann zu heiraten, genauso wie es ein Phänomen der Krise ist, dass sich ihr Alltag nicht vollständig an einem Herd abspielt. Selbst ihre oberflächliche, begrenzte Unabhängigkeit existiert nur Dank eines Blutbads. Sie ist schlicht Teil einer Katastrophe.

Egal wie man es dreht und wendet: “Kingdom Come: Deliverance” bleibt auch im DLC ein surreales Spiel. Ja, es weiß durchaus phasenweise zu unterhalten und ist immerhin halbwegs konsequent in seiner angestaubten und nationalromantischen Mittelalterimagination, aber es bleibt auch eine Klischeesammlung. Oberflächlich sind Plots und Dialoge nur generisch und klischeebelastet und darunter schlicht ein schaler Versuch, vom Vorwurf der Frauenfeindlichkeit mit mehr Frauenfeindlichkeit abzulenken, auch wenn sie dieses Mal vielleicht besser versteckt ist.

Ich weiß nicht, wo Warhorse mit dem Ansatz eines DLCs über Frauengeschichte(n) hinwollte, aber zu einem nuancierten Umgang mit Gender und Weiblichkeit hat es “Kingdom Come: Deliverance” nicht gebracht. Stattdessen bleibt auch das DLC stellenweise so absurd und surreal, dass es eigentlich fast eine Parodie auf sich selbst ist. Es bleibt Realsatire.

  • Ralf
    16. September 2020 at 9:38

    Schöner Artikel. Ich bin erst vor kurzem auf Deinen Blog gestoßen und bin schon jetzt Fan der interessanten Denkanstöße. Ich vermische meinen Kommentar wahrscheinlich ein bisschen mit dem Artikel zur historischen Korrektheit. Was mir gut gefallen hat:

    – Authentizität ist eine Illusion da Geschichte oft nur einen Blickwinkel darlegt.
    – Spiele müssen nicht historisch korrekt sein und sind es ohnehin meistens nicht.
    – Die Analyse zur Darstellung von Frauen. Frauen können und sollten mehr sein als Staffage. Ich erinnere mich an Starbuck in der neuen Galactica Serie. War meine Lieblingsfigur.

    Ich bin ja selber (Hobby-)Spieledesigner (PnP). Ich denke das ist eine spannende Perspektive, die ich in mein nächstes Projekt einfließen lassen werde.

  • Aurelia Brandenburg
    5. September 2020 at 7:17

    Herzlichen Glückwunsch, du hast es geschafft, komplett an meinem Text vorbeizulesen. Ich fordere nie, dass KCD Theresa ein Abenteuer wie Heinrich (dessen Abenteuer im Übrigen auch ziemlich viel mit Wunschvorstellungen zu tun hat) zu geben, sondern kritisere, dass das Spiel seine Frauenfiguren nicht anders als in Relation zu Männern konstruiert bekommt. Es geht mir um die Inszenierung des Spiels, da sind alle Fragen, wie das Mittelalter eventuell war oder nicht war (auch wenn selbst da Kingdom Come eine unterkomplexe Darstellung wählt), irrelevant.

  • Leo
    5. September 2020 at 0:49

    Was schreibst du da nur?
    Ja, das Mittelalter war sehr weiß, sehr heteronormativ und sehr männlich.
    Das zu verneinen ist einfach kindlich und eine Beleidigung für alle Freiheitskampferinnen für Emanzipation.
    ps: Ein Abenteuer wie für einen männlichen Protagonisten, war Frauen einfach nicht möglich. Alles andere ist Wunschvorstellung und hat nichts mit der Realität zu tun, eben dass was dieses Spiel abbilden wollte.

  • Aurelia Brandenburg
    9. August 2020 at 9:34

    Danke, genau das. Bei einem anderen Spiel und einem anderen Studio hätte das Spiel und auch DLC eben wirklich interessant werden können, aber so … Mit diesem ganz speziellen und oft sehr verkopften Realismusanspruch (den DSA-Vergleich finde ich dazu übrigens wirklich sehr passend) steht und fällt das Spiel eben und meistens fällt es halt eher.

  • Henrik
    8. August 2020 at 23:50

    Danke für deine Gedanken zum DLC.
    KCD ohne DLC ist für mich auch immer noch nicht auf Dauer durchspielbar, da es eine Simulationswut abbildet die ich sonst nur von DSA kenne.
    Und wenn das DLC auch nicht das hinbekommt was es eigentlich tun sollte…ja gut dann ist das alles halt am Ziel vorbei.
    Es macht nicht wirklich auf Dauer Spaß, es zeichnet kaum interessante Figuren oder macht mal neue Fässer auf. Es ist einfach so da und suhlt sich im eigenen Saft, in der Kritik und in der Annahme das man ja alles durchsimuliert hat.
    Die DLC ist vom Gedanken total interessant, aber dafür müsste man auch so eine DLC wirklich machen “wollen”.

  • Aurelia Brandenburg
    6. August 2020 at 17:22

    Hallo Anita, du missverstehst hier glaube ich meine Kritik. Was ich Spielen wie KCD ankreide, ist nicht, dass sie eine Welt abbilden, in der Frauen unterdrückt sind und wenig Handlungsspielraum haben, sondern ihre Inszenierung. KCD schafft es zu keinen Zeitpunkt, eine Frau nicht rein in Relation zu einem Mann, meistens sogar in Relation zu einem Love Interest oder Ehemann, zu erzählen. Stattdessen werden sie z.B. durch die Kameraführung sogar noch sexualisiert, was rein gar nichts mit der Zeit oder der Welt zu tun hat, in der das Spiel spielt, sondern damit, wie im 21. Jahrhundert ein Entwickler*innen-Team entschieden hat, diese Welt und ihre Figuren zu inszenieren. Dazu kommt, dass KCD tatsächlich sogar vereinzelt sehr privilegierte Frauen wie Stephanie von Talmberg abbildet, die aber ihre eigenen Handlungsspielräume nicht/kaum zu kennen scheinen und zusätzlich keine/kaum agency haben bzw. nur zu existieren zu scheinen, um als attraktiver Love Interest für Heinrich dienen zu können. (Mich wundert es übrigens ein wenig, dass du jüngeren Kulturhistoriker*innen unterstellst, sie würden nicht gerne über sozio-ökonomische Faktoren und vor allem unterschiedliche Spielräume je nach sozialem Stand sprechen wollen, da ist meine Wahrnehmung eine vollkommen andere, aber das führt hier vermutlich zu weit.) Und bei all dem haben wir noch nicht einmal darüber gesprochen, dass Spiele wie KCD, denen ich das besonders vorwerfen würde, gleichzeitig z.B. Heinrich zum Helden vom Tellerwäscher zum Millionär machen. Ich könnte auch genauso nennen, dass es bei den Männern sehr viel mehr körperliche Vielfalt gibt, während die Frauen alle jung und schlank sind und scheinbar tatsächlich alle denselben Körper haben. Oder dass sich das Studio nicht die Mühe gemacht hat, für Dörflerinnen eine sinnvollere Aktivität zu implementieren als den Matsch vor ihrer Haustür zu kehren. Das ist Inszenierung und dieses lieblose, schablonenhafte Frauenbild ist vollkommen unabhängig von irgendeiner historischen Inspiration einfach lächerlich.

    Ich fordere nicht, dass Historienspiele (auch unabhängig von KCD) Frauen mit denselben Rechten wie z.B. in Deutschland im Jahr 2020 darstellen. Ich fordere, dass sich Entwickler*innen die Zeit nehmen, ihre Frauenfiguren vernünftig zu entwickeln und zu schreiben.

  • Anita
    6. August 2020 at 15:38

    Hallo Aurelia,

    KC ist Quark, keine Frage, das DLC offensichtlich auch, so wie du es beschreibst. Ich bin dennoch etwas verwundert, wie die aus der scheinbar modernen Perspektive da eine andere Frauendarstellung wünscht. Mal ganz abgesehen davon, dass ich (wie du scheinbar auch) historische Authentizität im Videospiel für nicht machbar hälst, aber Frauen sind im Mittelalter, besonders zunehmend ab dem Hoch- bis Spätmittelalter, nun einmal weitestgehend rechtlose, völlig ihrem Ehemann oder Vater unterworfene Personen (auch hier noch das zusätzliche Problem, dass wir mit unserer modernen Vorstellung von individueller Entfaltung/Verwirklichung kaum weiterkommen, wenn wir die ständische Gesellschaft begreifen wollen), die zudem mit voranschreitender Christianisierung auch sehr deutlich und massiv in den häuslichen Bereich zurückgedrängt werden. Herd und Kinder ist leider schon sehr nah an der Realität, Frauen sind in erster Linie an ihre männlichen Vormünde gebunden.
    Gibt es Ausnahmen? Klar, aber dann müsste man stärker über sozio-ökonomische Faktoren sprechen und nicht nur über Geschlecht, denn Spielraum ergibt sich für Frauen vor allem, wenn sie dem Adel entstammen. Da kommt dann eben die Klassenfrage bzw richtiger die Ständegesellschaft mit rein, aber über diese Aspekte sprechen die jüngeren KulturhistorikerInnen ja nicht mehr so gerne.

Über mich und diesen Blog

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Aurelia Brandenburg - Historikerin und Bloggerin. Ich beschäftige mich meisten mit Mittelalter, Digital Humanities und Game Studies, nicht zwingend immer in dieser Reihenfolge. Auf Geekgeflüster schreibe ich seit 2012 über Popkultur, inzwischen oft aus einer feministischen Perspektive und manchmal auch über Popkultur und Geschichte, insbesondere Popkultur und Mittelalterrezeption. Außerdem schreibe ich auch für Language at Play. Auf Twitter findet man mich als @hekabeohnename.


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