Wir sitzen in einem rostigen Pick-Up-Truck, die Welt zieht am Fenster vorbei. In der Ferne sehen wir den alten Leuchtturm der Stadt Arcadia Bay, direkt dahinter der Ozean. Es läuft ruhige Gitarrenmusik. Wenn wir rüber spähen, blicken wir in das Gesicht unserer besten Freundin Chloe und alles scheint okay zu sein. Alles, bis auf die Tatsache, dass wir sie gerade davor gerettet haben erschossen zu werden, in dem wir die Zeit zurückgedreht haben. Und so beginnt unsere Geschichte.
Arcadia Bay ist nichts besonders und genau deswegen so besonders. Die Sonnenstrahlen fallen durch die Tannen auf den trockenen Waldweg, es hat schon etwas länger nicht geregnet. Die Graffiti an Leuchtturm und Schulfassade sehen so aus, als gehörten sie schon immer genau da hin. Auf dem Parkplatz stehen Pick-Up-Trucks, normale Wagen, aber halt nichts Besonderes. Die Kennzeichen lesen sich „TWLGHTZN“ oder „TWNPKS“. Auf den ersten Blick auch nichts Besonderes. Die Butter tropft von der Waffel im Diner, der Polizist trinkt seinen zweiten Kaffee und die Jukebox spielt ein abgedroschenes 70er Lied, bis sie irgendwann komplett verstummt. Die Schüler lungern vor der Schule rum, ein paar sitzen in Gruppen, manche alleine. Alles nichts Besonderes. Doch dann war da plötzlich diese Waffe. Und Chloe. Und das Zeitzurückdrehen. Doch das war auch schon alles. Mehr Magie, Power und Superkräfte gibt es in dieser Welt nicht. Was erst mal etwas eigenartig klingt, wirkt nach wenigen Stunden in „Life is Strange“ schon gar nicht mehr unnormal. Die Mechanik geht unglaublich schnell ins Blut über und recht schnell wird es zu etwas normalem.
Wer kennt sie nicht, die guten alten Highschool Klischees. Es gibt die Coolen, die Außenseiter, die Nerds und die Normalos. Es wird gequatscht, gelästert, Drogen genommen, es verschwinden Kids und Missbrauch passiert ja auch irgendwo zwischen den Zeilen. Was? Das klingt gar nicht so nach Herzenswelt? Ist es aber trotzdem. Mit dem Zeitreiseelement bringt Dontnod einen frischen Wind in das Adventure Genre und spielt tatsächlich auf simpelstem Wege mit dem Zeit-Raumkontinuum. Zeit zurückdrehen, abwarten, Entscheidungen überdenken und, wie sollte es anders sein Leben retten. Doch wer mit der Zeit spielt, muss auch die Konsequenzen tragen können. Ein Tornado droht die Stadt zu zerstören und so kommt das ganze erst ins Rollen. Wie das Schicksal es so will, erschießen wir vielleicht noch fast jemanden und plötzlich steht da noch diese riesige, grausame Geschichte um Rachel Amber im Raum, deren Auflösung einem das Herz stehen lässt. Doch genau diese Dinge sind es, die Arcadia Bay und Life is Strange so besonders machen. Das Spiel ist ehrlich. Schmerzhaft, aber ehrlich. Ja, Menschen genießen es im Sonnenuntergang Syd Matters zu hören, aber ja, es gibt auch Menschen, die täglich mit dem Gedanken spielen sich das Leben zu nehmen. Auch das ist die Realität. Mit einer Prise Misstrauen wird Life is Strange schnell zu einem reißenden Fluss an Problemen und wir reiten uns gefühlt immer weiter in die Scheiße, denn Zeit ist einiges, aber sicherlich nicht nachsichtig. Chaos Theorie und so, mehr muss ich wohl nicht sagen. Und so sind wir, schneller als es uns eigentlich lieb ist, der Dreh- und Wendepunkt in unserer eigenen wirklich sehr schwierigen Geschichte. Denn als Teenager ist alles schwer. Alles. Sei es Schule, die Liebe, oder eben das Zeitreisenproblem.
Der Spieler wird mit den alltäglichen Problemen eines Teenagers konfrontiert und fühlt sich mit enormer Wucht zurückgeschleudert Als Bands noch das Leben bestimmt haben, als man die ersten Zigaretten rauchte und man diesen einen Freund hatte, der sich super cool fühlte, weil er als erster der Gruppe kiffte. Die Zeit, in der man am Meer saß, am Fluß oder einfach irgendwo draußen, Singer Songwriter Musik gehört hat und die letzten Sonnenstrahlen des Tages durch die Laubbäume auf das Gesicht fielen und alles eigentlich ganz okay war, obwohl in der Schule, Zuhause und im Liebesleben gerade die Welt unterging. Life is Strange spielt mit der riesigen Metapher des Sturms, der alles zu zerstören droht, belächelt fast die Sorgen eines Teenagers und setzt immer noch einen drauf, ohne dabei ins quälende zu verfallen. Life is Strange ist hart, ehrlich und authentisch. Der Moment in dem man Max Nachnamen, Caulfiel, das erste Mal erfährt, musste ich schon lächeln. Beachtet man dann noch das Poster in ihrem Zimmer, den Hut im Sekretariat und die dazugehörenden Sprüche, geht einem richtig das Herz auf. Life is Strange ist alles, was man sich vom Leben eines amerikanischen Teenagers erwartet. Doch es ist eben auch ein klein bisschen mehr. Arcadia Bay ist so viel mehr. Es bietet so viel Platz für Hinweise, Theorien und Idee. So viel Platz für Kreativität und Potential, dass jede Episode überrascht hat. Denn anstatt den großen Helden der Geschichte zu spielen, muss man das retten, was man grade vor die Wand gefahren hat – und zwar volle Kanne.
Life is Strange ist keine Heldengeschichte und Arcadia Bay kein Platz für Helden. Arcadia Bay ist die harte Realität. Die unfaire Realität. Doch diese Stadt schafft es, ohne großen Aufwand, mich in jeglicher Hinsicht zu sich zu ziehen und mich in jeden einzelnen Pixel, jede Nebelschwade und jedes Pianoklimpern zu verlieben. So sehr, dass ich alleine den Startbildschirm stundenlang einfach nur anstarren könnte. Eine Geschichte eingetaucht in Ahornsirup farbene Sonnenuntergänge mit rauschenden Blättern, unfassbar schöner Gitarrenmusik und dem stetigen Traum doch irgendwie etwas in der Welt mit seinen Begabungen bewirken zu können und ein bisschen die Welt zu retten, denn das wünschen wir uns doch alle als Jugendlicher, oder?
4 Comments
Carolin
6. August 2017 at 17:42Haaach, ich liebe, liebe, LIEBE dieses Spiel und dein Beitrag bringt es absolut auf den Punkt. Life is Strange ist einfach so erfrischend anders. Atmosphärisch und langsam erzählt, aber trotzdem sehr spannend. Ich würde mir mehr Videospiele dieser Art wünschen, die einfach noch einen gewissen Bezug zur Realität haben.
Caro
6. August 2017 at 12:58Hallo du!
Dankeschön!
Natürlich helfenhaft! 🙂
Das mr Chloe verstehe ich. Chloe ist anstrengend. Furchtbar anstrengend. Aber Max ist reine Liebe!! ???
Danke für deine Lieben Worte!
– Caro
Mewa
5. August 2017 at 20:47Oh noooes, sorry, hab den Autorenzusatz und den Zusatz zu Herzenswelten erst jetzt gesehen (Irgendwie ist das an mir vorbeigegangen). ^^’ Sorry sorry an sowohl Aurelia als auch Caro. Aber sonst steht der Kommentar: Ein wundervoll geschriebener Beitrag 🙂
Mewa
5. August 2017 at 16:23Oh mein Gott XD Wundervoller Beitrag, aber dass er ausgerechnet jetzt erscheint, wo ich das Spiel vor einer Woche gespielt habe. Schmetterlingseffekt? Haha 😀
Aaaaaber mich konnte das Spiel leider, LEIDER nicht überzeugen. Vielleicht habe ich zu sehr das ganze als Leser/Autor betrachtet, weil mich auch die Auflösung um Rachel nicht besonders schockiert oder generell mitgenommen hat. Fand es ein wenig undurchdacht, v.a. weil relativ viele Figuren irgendwie am Ende ziellos in der Luft stehen ohne wirklicher Conclusion? Außerdem konnte ich niemanden, nicht Max, nicht Chloe, niemanden (!) ins Herz schließen. Aber bei einem gebe ich dir Recht – der Grund, warum ich es trotzdem nicht bereue gespielt zu haben – diese auf’s Detail genau getroffene Atmosphäre einer typisch idyllisch und trotzdem heruntergekommenen Kleinstadt. Wie hast du dich btw. am Ende entschieden? Um Spoiler zu vermeiden: Egoistisch oder Heldenhaft?