Gaming Kritiken

This War of Mine: Düster und faszinierend

18. August 2015

This War of Mine
Ein Mann sitzt auf dem Boden eines heruntergekommenen Hauses. Die Wände haben Löcher, es ist zugig und von draußen klingen immer wieder Schüsse. Zitternd schlingt er die Arme um die Knie und fragt sich, wie es letzte Nacht so weit kommen konnte. Wie er so tief sinken und beim Plündern einer zerbombten Villa zwei Menschen hat töten können. Ein anderer Mann tritt an ihn, kniet sich vor ihn auf den Boden und beginnt leise auf den ersten einzureden. “Du musst weitermachen”, sagt er immer wieder, aber sein Freund weiß nicht, wie. Ein Stockwerk weiter unten wälzt sich ein dritter tödlich verletzt auf einem behelfsmäßigen Bett hin und her. Bei dem letzten Überfall durch andere Plünderer ist er angeschossen worden, aber die kleine Gruppe hat keine Verbände mehr. Es ist kalt und vielleicht hängt das Überleben von allen nur von der Ausbeute der kommenden Nacht ab…

Es ist eine Weile her, dass mir ein Spiel so unter die Haut gegangen ist wie “This War of Mine”. Als das komplette Gegenteil zu den üblichen Shootern befasst sich das Spiel mit dem Thema Krieg von Seiten der Opfer. Der Spieler steuert eine kleine Gruppe, die den bisherigen Kriegswirren des fiktiven Landes Graznavia und seiner Hauptstadt Pogoren zwar bisher mehr oder weniger entgangen ist, aber nicht rechtzeitig aus der Stadt fliehen konnte. Jetzt geht es nur noch ums nackte Überleben. Tagsüber wird der Unterschlupf ausgerüstet, Nahrung gekocht und Gegenstände hergestellt, nachts geht es auf Streifzug durch die Stadt, um Materialien, Medikamente und Nahrung für den kleinen Trupp aufzutreiben. Klingt simpel, erweist sich aber sehr bald als relativ schwer.

Meine ersten Versuche, eine Gruppe durchzubringen scheitern kläglich. Vor allem Depression, Verletzungen und marodierende Plünderer unterschätze ich zunächst. Mein erster längerer Spielversuch endet nach 34 Tagen mit dem Selbstmord der letzten Überlebenden, nachdem alle anderen einer nach dem anderen umgebracht wurden oder ihren Wunden erlegen sind. Beim Versuch darauf bin ich klüger. Ich sehe zu, dass ich Medikamente und Verbände auf Vorrat horte und stelle Fallen auf, um Ratten fangen zu können, damit meine vier Schützlinge Fleisch haben. Das geht so weit, dass ich mit einer zweiten Falle sogar ein recht erträgliches Geschäft mit Schnaps und Fleisch auf dem Schwarzmarkt anfangen kann, womit ich wiederum den Ausbau des Unterschlupfes finanziere. Außerdem versuche ich weniger zu klauen, begehe kaum Verbrechen und sehe zu, dass ich mit Büchern und Musik die Laune halbwegs oben halte.

Der Plan geht auf: Nach knapp 40 Tagen Krieg und Chaos meldet der örtliche Radiosender zum ersten Mal, dass internationale Friedenstruppen demnächst in den Bürgerkrieg eingereifen wollten. Nach 42 Tagen kommt es endlich zum Waffenstillstand.

Ein Happy End? Mehr oder weniger. Nicht alle meiner vier Überlebenden finden ihre Familien wieder oder haben wenigstens Gewissheit über ihren Verbleib. Selbst nach Kriegsende gönnt “This War of Mine” dem Spieler kein kitschig-kuschliges Einhorn-Disney-Ende, sondern bleibt düster und gnadenlos.

“This War of Mine” ist einer der seltenen Fälle, bei denen ich das Gefühl habe, dass ein Spiel gar nicht Spaß machen soll. Es ist sowohl inhaltlich als auch optisch düster und geht mit seinem absolut erbarmungslosen Spielprinzip tief unter die Haut. Dass die Figuren, die ich als Spieler steuern soll, einmal gestorben dank Permanent Death auch wirklich tot bleiben, ist da nur das Offensichtlichste. Depression, Hunger, Entzug der Lieblingsdrogen wie z.B. Nikotin in Form von Zigaretten, das alles quält die Überlebenden. Sie haben ein schlechtes Gewissen und machen sich Vorwürfe, wenn sie andere Menschen ausrauben, trauern um getötete Mitstreiter und brauchen aufmunternde Gespräche, um nicht komplett den Verstand zu verlieren. Dazu kommt, dass ich mir beim Spielen immer wieder geradezu hilflos gefühlt habe, wenn in meiner Truppe wieder jemand verletzt, krank oder kurz vorm Verhungern war und ich die nötigen Ressourcen einfach nicht aufgetrieben bekam oder die Preise auf dem Schwarzmarkt für die entsprechende Ware so hoch war, dass sich meine Gruppe das einfach nicht leisten konnte. Dann abzuwägen, wer jetzt am wertvollsten für das Überleben der Mehrheit ist und deswegen die letzte Ration Nahrung oder den letzten Verband bekommt, schmeckt bitter, fügt sich damit aber gleichzeitig natürlich in das gesamte  Spielprinzip nahtlos ein.

Immer wieder muss ich strategisch denken, abwägen und schließlich im Bewusstsein des Risikos für den Einzelnen zu Gunsten der Mehrheit eine Entscheidung treffen. Immer wieder geht meine Rechnung nicht auf, weil eine meiner Figuren es nicht mehr aushält und einen Nervenzusammenbruch angesichts all des Leids bekommt, immer wieder ist da die Angst, die letzten Bücher, die die Gruppe eigentlich ablenken sollen, versetzen oder verfeuern zu müssen.

Damit funktioniert “This War of Mine” auf zwei Ebenen: Zum einen ist da meine eigene Gedanken- und Gefühlswelt, die die Schicksale und Geschichten der Menschen, um die ich mich kümmern soll, nicht so kalt lässt, wie ich es von Games eigentlich gewöhnt bin, und zum anderen ist da auch noch eine rein rationale Ebene der Strategie. Abwägen, Vorrausdenken, Risiken abschätzen. Im Grunde Schach spielen.

Beide Ebenen sind sauber umgesetzt, auch wenn ich denke, dass man aus dem Spielprinzip als Solches mehr hätte herausholen können. Die Figuren können keine Kampf- oder sonstige Fähigkeiten erlernen, was das Plündern von gefährlichen Gebieten immer auf demselben Level schwer bis unmöglich hält, genauso wenig wie Interaktionen mit anderen nicht-feindlichen Bewohnern der Stadt möglich sind. Nur mit den Schwarzmarkthändlern ist eine Kommunikation möglich und die beschränkt sich allerdings komplett auf den Handel. Weitere Hintergrundstories als der enge Pool an spielbaren Charakteren kann man also nicht erkunden. Genauso wie es – gerade wenn die Ressourcen mal wieder knapp sind – unglaublich nervig sein kann, dass man immer nur eine Figur auf Beutezug schicken kann und nicht z.B. 2/4 Charakteren, sodass eine größere Menge an Material in einer Nacht herbei geschafft wird oder sich meine Plünderer besser gegen marodierende Soldaten u.ä. verteidigen können.

Gleichzeitig liefert das Spiel je nach (Kriegs-)Phase ganz eigene Herausforderungen. Ist zu Beginn erst einmal der Hunger der größte Feind der Gruppe, wechselt das je nachdem wie sich die äußeren Umstände auch wandeln. Kochen die Unruhen in der Stadt hoch, sind vielleicht nicht alle Gebiete und Händler erreichbar, im Winter dagegen frisst der Ofen Rohstoffe ohne Ende usw. So bleibt das “This War of Mine” rein spielerisch anspruchsvoll, während es wie bereits erwähnt auf einer Ebene der Story (zumindest mir) unter die Haut geht.

Lange Rede, kurzer Sinn: “This War of Mine” ist düster und bedrückend, fasziniert aber auf genau diese beklemmende Weise, gerade weil es mit seinem schonungslosen Art einem schwer im Magen liegt. In Kombination mit dem gut durchdachten und weitgehend logischen Spielprinzip ist es genau das, was es aber auch zu einem herrausragenden Game macht.

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    Über mich und diesen Blog

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    Aurelia Brandenburg - Historikerin und Bloggerin. Ich beschäftige mich meisten mit Mittelalter, Digital Humanities und Game Studies, nicht zwingend immer in dieser Reihenfolge. Auf Geekgeflüster schreibe ich seit 2012 über Popkultur, inzwischen oft aus einer feministischen Perspektive und manchmal auch über Popkultur und Geschichte, insbesondere Popkultur und Mittelalterrezeption. Außerdem schreibe ich auch für Language at Play. Auf Twitter findet man mich als @hekabeohnename.


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