“Warum können die nicht selber mit diese Giselle reden? Warum muss ich das machen? Warum um alles in der Welt verlassen die sich auf mich?” Meine beste Freundin runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf, während ich neben ihr kurz lachen muss. “Ist halt Teil des Spiels”, versuche ich zu erklären, wofür es keine Erklärung gibt, und überzeuge sie damit dementsprechend nur begrenzt. “Du bist jetzt eben die Heldin.”
Besagte Freundin spielt so gut wie nie Videospiele und ist auch ansonsten wenig computeraffin. Während ich quasi im Internet lebe, kann es schon einmal passieren, dass man sie zwei Tage lang nicht erreicht, weil sie vergessen hat, das WLAN an ihrem Handy wieder einzuschalten, und sie das auch nicht großartig stört. Meine Faszination für Videospiele war noch nie etwas, das sie so richtig verstanden hat. Sie liebt Geschichten jeder Art, aber Spiele hatten sie da nie sonderlich abgeholt oder interessiert. Und dann war ich mal wieder bei meinen Eltern, wir hingen gemeinsam auf der Couch rum, quatschten unter anderem über meinen Blog und ein paar Texte, an denen ich gearbeitet habe, und sie war neugierig. Also warfen wir die Konsole an, ich drückte ihr den Controller in die Hand und sie startete eine Runde “Dragon Age: Inquisition”. In den nächsten Wochen folgten dann regelmäßig Updates und was eigentlich nur als kleines Reinschnuppern an einem Nachmittag begonnen hatte, entwickelte sich zu dem ersten Spiel, bei dem ich mich erinnern kann, dass es sie wirklich fasziniert hätte. Und abgesehen davon, dass es natürlich auch seinen Reiz hat, zu beobachten, wie ein lieber Mensch zu verstehen beginnt, warum ich genau dieses Spiel so sehr mag, war für mich das Interessanteste daran, mich jetzt mit ihr über ihren Spielfortschritt auszutauschen, etwas ganz anderes: Der Perspektivenwechsel.
Immer wenn ich mich längere Zeit nur mit Menschen, die halbwegs regelmäßig zum Controller greifen, über Spiele austausche, tendiere ich dazu, zu vergessen, wie sehr ich bei jedem Spiel, das ich anfasse, vorher schon durch andere konditioniert bin. Ich weiß, wie ein Fähigkeitenbaum funktioniert, wenn ich eine Kiste sehe, gucke ich erstmal nach, ob ich darin gutes Loot finden kann, und wenn ich nicht weiß, wo es weitergeht, sehe ich mich instinktiv danach um, wo die nächsten Feinde auf mich warten und laufe mal in diese Richtung. Minimaps, Equipment, Erfahrungspunkte – Über all das denke ich nicht mehr nach, all das nutze ich ganz intuitiv. Leute wie meine beste Freundin, die selten ein digitales Spiel anfasst und dann meistens auch nur weil ich ihr davon erzählt habe und ihr Bruder es ohnehin gerade spielt, sind dagegen erst einmal ein gutes Stück zurück geworfen.
So sehr, dass der Moment, in dem sie anfing, mein Lieblingsspiel “Dragon Age: Inquisition” durchzuspielen, erst kam, nachdem sie mit meiner Anleitung durch die ersten paar Stunden des Spiels gelaufen war. Sie spielte, ich sagte ihr wenn nötig, in welche Richtung sie laufen musste oder was sie nun am besten tat, wenn sie sich gerade an einem Boss abmühte, aber der Controller lag durchgehend in ihrer Hand. Etwas, das sie zu meiner Überraschung später als besonders gut hervorhob, weil sie meinte, dass ihr die meisten anderen Leute, mit denen sie bisher mal irgendetwas angespielt hatte, ihr in diesen Situationen den Controller aus der Hand und das Spiel übernommen hatten, sie aber so natürlich immer noch nicht verstanden hatte, wie das Spiel eigentlich funktionierte.
Die Wochen danach und ihre regelmäßigen Updates per Sprachnachricht haben wir danach wieder in Erinnerung gerufen, wie wichtig eigentlich gute Tutorials und wirklich intuitive Spiele sind. Gerade “Dragon Age” hätte ich als verhältnismäßig einsteigerfreundlich gesehen und trotzdem waren da Hürden, die ich nie als solche wahrgenommen hätte. Ich weiß, dass ich als regelmäßige Spielerin anders denke und vorgehe als jemand, der selten spielt, das Ausmaß dessen, was das bedeutet, vergesse ich trotzdem regelmäßig. Es erinnert mich aber auch an eins: Ich sollte öfter mit Leuten Videospiele spielen, die sonst so gut wie nie einen Controller zur Hand nehmen.
Nachtrag
Ben hat auf Twitter zurecht darauf hingeweisen, dass “Konditionierung” eigentlich nicht der richtige Begriff ist, eigentlich wäre so etwas wie “Spielerfahrung” (oder eben direkt der Fachbegriff der Gaming Literacy) die bessere Bezeichnung.
Stimmt, der Ausdruck war tatsächlich nur aus dem Bauch heraus gewählt, weil gefühlt mit Gaming Literacy niemand außerhalb der Game Studies was anfangen kann, wäre aber natürlich der korrekte Begriff.
— Aurelia (@hekabeohnename) 16. Dezember 2018
(Spiel-)Erfahrung ginge vielleicht auch!
— Ben (@GamePsychologe) 16. Dezember 2018
Artikelbild: JESHOOTS.COM via Unsplash
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