Ich wollte diesen Blogbeitrag ganz anders schreiben, als ich es jetzt tue. Ich hätte vermutlich erst einmal von der Grafik in Horizon: Zero Dawn geschwärmt (der Hammer!) und dann versucht über die Story zu schreiben und meine Liebe für das Spiel, für das ich mir 2015 überhaupt erst eine PS4 gekauft habe, in Worte zu fassen. Doch da in einigen Foren darüber diskutiert wird, dass Aloy – die Protagonistin des Spiels, in die ich mich ab der ersten Spielsekunde absolut verliebt habe – kein guter weiblicher Charakter sei, habe ich diesen Plan geändert.
Fazit der Unterhaltung war, dass sie weit entfernt von einer starken Protagonistin sei. Warum? Sie zeige zu wenig Emotionen. All die Ereignisse im Spiel, so die Diskutierenden, hätten keine Auswirkungen auf sie. Sie sei zu stark und verliere nie in Kämpfen, zeige sich nie geknickt. Damit haben wohl tatsächlich ein paar SpielerInnen ein Problem. Also habe ich beschlossen, stattdessen über dieses Thema zu schreiben. Das trifft sich auch insofern gut, dass ich es leider noch nicht geschafft habe, das Spiel zu beenden (weshalb ich auch noch einmal besonders darum bitte, die Kommentare spoilerfrei zu halten).
Stellen wir uns kurz vor, Aloy wäre ein Mann – in Ermangelung eines anderen Namens: Anton. Tauschen wir die Rollen und die damit verknüpften Rollenbilder. Anton wächst ohne Eltern als Ausgestoßener außerhalb einer wirklichen Zivilisation auf. In der Nähe befinden sich zwar Siedlungen, doch niemand redet mit ihm – denn es ist per Gesetz verboten, mit Ausgestoßenen zu sprechen. So wächst Anton also ohne Freunde und ohne wirkliche Familie auf, nur einen Ziehvater hat er. Dieser bringt ihm von klein auf das Kämpfen bei, denn die Welt, in der Anton lebt, ist gefährlich. Sie wird von Maschinen regiert, die stetig aggressiver zu werden scheinen. Durch seine großartige Kampfausbildung – und da diese das Einzige ist, das er wirklich hat – wird Anton zu einem grandiosen, starken Kämpfer. Getrieben von Überlebenswillen, Einsamkeit und der großen Frage, wer seine Mutter wohl gewesen sein mag.
Würden wir uns wundern, wenn Anton die Kämpfe, die er bestreitet, besteht? Ohne größere Kratzer? Würden wir es seltsam finden, wenn dieser Mensch, der ohne soziale Kontakte aufgewachsen ist, nicht bei jedem Menschen, den er im weiteren Leben kennenlernt, überemotional reagiert? Wohl kaum. Wieso tun wir es dann bei einer Aloy?
Und genau dafür liebe ich dieses Spiel. Die Diskussion auf Twitter hat mir gezeigt, dass sehr viele SpielerInnen noch in klassischen Rollen denken und spielen. Mit dieser Herangehensweise wird man bei Horizon nicht weit kommen. Denn Aloy bricht jegliche Klischees. Erwartet man einen emotionalen Frauencharakter, wird man enttäuscht, ja. Aloy erinnert teilweise an eine weibliche Version von Mad Max: Sie ist keine Frau der großen Emotionen oder Worte. Dass sie sehr wohl etwas fühlt, zeigt sich in ihren Taten, besonders in den Side Quests, in denen sie Fremden und Flüchtlingen hilft – ganz ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Einfach, weil sie Empathie besitzt, was ich, wenn man bedenkt, dass sie ohne großes soziales Umfeld aufwuchs, schon sehr bemerkenswert finde.
Fernab dessen werden ihre Handlungen aber vorrangig von Neugierde und Wissensdurst getrieben. Wo Nebencharaktere sehr emotional handeln, hört Aloy ihren Problemen und langen Reden zu, die Kamera fokussiert ihr Gesicht, aber mehr als ein leichte Regung im Mundwinkel und ein paar harte, nachforschende Worte sind aus ihr nicht herauszubekommen. Ihre Emotionen äußern sich nicht in Tränen, Launen oder Worten, sondern in Handlungen.
Das mögen manche SpielerInnen als schwach deuten, meiner Meinung nach war jedoch genau das die perfekte Herangehensweise an solche Spiele und diese Protagonistin. Wieso sollte Aloy etwas anderes als zynische Kommentare für ihr Volk, die Nora, übrig haben, wo sie und ihr Ziehvater doch ihr Leben lang gemieden wurden? Sie als normalen Menschen mit normalen sozialen Interaktionen darzustellen, wäre einfach grundlegend falsch – und diese Herangehensweise zu erwarten, zeigt lediglich, dass man sie als Charakter nicht verstanden hat. Starke Frauen sind nicht nur dann okay, wenn sie auch eine weiche Seite haben.
Ich habe im Bachelor einmal eine Hausarbeit zum Thema Gender in Videospielen geschrieben und die Trope der Damsel in Distress untersucht. Und es war erschreckend und deprimierend, wie diese Tropes sich durch jegliche Spiele ziehen, egal ob diese für Kinder oder Erwachsene, für Männer oder Frauen entwickelt wurden. Daher bin ich Guerilla so dankbar, mit diesen Tropes gebrochen zu haben. Und ich glaube und hoffe, dass auch die SpielerInnen sich in Zukunft darauf einlassen werden.
Denn tut man genau das, lässt man sich auf das Setting ein, legt den Wunsch nach starken Emotionen, die in dem Spiel zwar vorhanden, aber nun einmal nicht Zentrum sind, ab, dann kann man Horizon: Zero Dawn nicht nur genießen, sondern ganz schön etwas lernen. Und die erste Lektion wäre die: Dass Aloy sich um solche Meinungen – im Gegensatz zu mir – überhaupt nicht kümmern würde. Nicht „emotional“ reagiert und weiter ihr Ding durchzieht. Sehr zum Unverständnis der NPCs – und leider auch noch mancher RL-Frauen.
Aloy zu stark? Ja – Zum Glück.
2 Comments
Horizon: Zero Dawn. Warum Frauen nicht stark sein müssen, um wertvoll zu sein. – Spawn It New
28. November 2018 at 16:46[…] angry and imperfect but has a heart of gold.“12 Den gleichen Ton trifft ein Post auf der Website geekgefluester.de, in dem die Autorin Annabelle über Kritiken via Twitter schreibt, die Aloy als ungünstiges […]
Blue Phoenix
7. Mai 2017 at 14:05Tolle Ergänzung! Kann deine Punkte unterschrieben!