Der Fortschritt macht sich in Ankh-Morpork breit: Dank des jungen und genialen Ingenieurs Dick Simnel, der den Prototyp einer Dampflok gebaut hat, beauftragt der Patrizier der Stadt, Lord Vetinari, Feucht von Lipwig damit, ein funktionierendes Netz aus Schienen einzurichten. Aber das ist leichter gesagt als getan: Denn auch wenn der finanzielle Part steht, sind viele Leute doch misstrauisch. Unter ihnen ist auch eine sehr extreme Gruppierung von Zwergen, die darauf bedacht, alles Zwergische zu konservieren und alles Unzwergische zu vernichten, ihre eigenen Pläne zu schmieden beginnen und so die neue Lokomotive für ihre eigenen politischen Ziele zu nutzen.
Ich gebe zu, meine Beziehung zu Terry Pratchett und den Scheibenwelt-Romanen ist gespalten. Auf der einen Seite liebe ich den schrägen und sehr komplexen Stil, bei dem sich die einzelnen recht lose oder gar überhaupt nicht miteinander verbundenen Handlungsfäden erst recht spät miteinander verbinden, auf der anderen Seite halte ich das Lesen solcher Bücher selten durch. (Im Übrigen ist das bei mir mit Krimis ganz ähnlich.)
Umso mehr liebe ich Hörbücher, Hörspiele und die im Vergleich sehr übersichtliche Anzahl an Filmen. Gerade die beiden ersten Varianten müssen aber da natürlich gut gemacht sein, den Figuren eigene Stimmen geben und den machmal etwas absurden Stil der Buchvorlage gut treffen. Alles Dinge, die vollkommen auf das Hörbuch zu “Toller Dampf voraus” zutreffen. Jens Wawrczeck, dessen Stimme ich am besten als Peter Shaw aus den Drei Fragezeichen-Hörspielen kenne, gibt Goblins, Menschen und Zwergen jeweils einen ganz eigenen Tonfall und das passt einfach.
Das muss sogar so sein, denn wie so oft bei Pratchetts Geschichten verliert man sonst zu schnell den Überblick, wer jetzt was warum tut und wie das jetzt wieder mit dem Rest zusammen hängt oder auch nicht. Zwar begegnen Fans immer wieder bekannten Figuren wie z.B. Lord Vetinari oder Kommandant Mumm, trotzdem fiel es mir schwer, den Überblick zu behalten, auch weil viele Kleinigkeiten ein wenig angerissen bzw. angedeutet werden, von denen ich mir sicher bin, dass eingeschweißte Pratchett-Fans sie alle verstehen, ich damit allerdings ein wenig überfordert wurde.
Und trotzdem: Mir gefällt “Toller Dampf voraus”. Warum? Es ist zu 100% Terry Pratchett, der diese wunderbare Gabe hatte, mit seiner Scheibenwelt recht subtil Verhaltensmuster von Gesellschaften/Menschen in eine Fantasy-Welt zu übertragen und so anzupassen, dass sie komplett unabhängig funktioniert, aber doch die Realität gekonnt parodiert bzw. parallelisiert.
Im Grunde wird mit “Toller Dampf voraus” ein gesellschaftlicher Spannungsmechanismus des Fortschritts skizziert: Das ewige hin und her zwischen Angst und Sorge vor dem Neuen und der wie elektrisierte Blick des Visionärs Simnel auf die Zukunft, das Chaos der Zwerge zwischen Konservierung der Traditionen und der Gleichberechtigung aller Arten usw.
Genau das macht die gesamte Geschichte neben der wie üblich genialen humoristischen Note wunderbar interessant, auch wenn wie gesagt Pratchetts etwas verschachtelter Stil mir zum eigenständigen Lesen bei diesem Roman erst recht zu anstrengend gewesen wäre.
“Toller Dampf voraus” (Hörbuch) auf der Verlagswebsite. (An dieser Stelle auch noch einmal ein Dankeschön an Random House für das Rezensionsexemplar über das Bloggerportal.)
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