Männer, die Zeugen von Sexismus werden, sollten Betroffenen den Rücken stärken. Auch, vielleicht sogar ganz besonders in den diversen Ecken der „Nerdculture“ und des riesigen Komplex des Gamings. Wer aber nicht zuhört, sondern bevormundet, richtet mehr Schaden als Nutzen an.
GameStar und die Babe-Galerien
Anfang der Woche wurde ein Thread auf Twitter quer durch meine Timeline gereicht, in dem ein Mann den Sexismus der Babe-Galerien der GameStar auf sehr polemische Art kritisierte. Besagter Thread schlug so hohe Wellen, dass die GameStar sogar mit einem Statement reagierte und die entsprechenden Seiten endgültig offline nahm. Und auch wenn ich inhaltlich dem Thread durchaus zustimme, hat mich die Art sehr geärgert. Nicht nur wegen der Polemik, sondern auch wegen einer gewissen bevormundenden Art, wie sie mir nicht zum ersten und vermutlich auch nicht zum letzten Mal in Sexismus-Debatten im Gaming sauer aufstößt.
Dass Babe-Galerien und ähnliche Formate hochgradig sexistisch sind, ist selbstverständlich. Dass das die Art Content ist, die inzwischen zum Glück so gut wie nicht mehr produziert wird, ist auch absolut richtig. Und ebenso moralisch richtig ist es, diese Seiten endgültig offline zu nehmen und so zum einen auch keinen Profit mit diesen Inhalten mehr zu machen und zum anderen eine bestimmte Ecke einer zugegeben recht imaginierten “Spielerschaft” als Ganzes nicht mehr zu bespielen. Und ja, auch Männer sollten diesen Sexismus offen kritisieren und sich mit Frauen solidarisieren. Ebenso ist allerdings auch nichts davon eine Neuigkeit, sondern das alles sind Dinge, die schon seit Jahren auf die eine oder andere Weise und gerade in den sozialen Medien immer wieder diskutiert werden. Dazu haben sich auch Betroffene schon unzählige Male auf die eine oder andere Weise geäußert. Man muss ihnen nur zuhören.
Willkommen in meiner Welt
Ich kenne kaum eine Frau näher, die sich irgendwie im Gaming bewegt, die von keinen Sexismus-Erfahrungen berichten kann. Mal sind es harmlose Sachen wie ein Verkäufer in einem Elektronikgeschäft, der es für unmöglich hält, dass eine Frau selbst spielt, mal ist es ein geänderter Username, um nicht sofort zu erkennen zu geben, dass man eine Frau ist, und so die Belästigung zu reduzieren, und manchmal ist es schlicht und ergreifend Stalking, nur weil ein Mann eine beängstigende Anspruchshaltung hat und Onlinegaming mit Tinder verwechselt. Daran, dass Männer häufig eine Meinung zu mir als spielende Frau haben, habe ich mich schon als Teenager gewöhnt. Nicht alles ist bedrohlich und es lässt sich auch darüber streiten, wie viel davon auch eine Besonderheit der Kultur um Videospiele – wenn es die denn überhaupt in dieser Homogenität gibt – ist und wie viel nur an toxischen Räumen in den sozialen Medien und im Internet im Allgemeinen liegt. Die Erfahrungen bleiben und die Reaktionen darauf rauben mir jedes Mal wieder Energie. In manchen Situationen mehr, in manchen weniger, aber sie tun es.
Gerade weil die Art dieser Erlebnisse aber auch so unterschiedlich sein und dementsprechend unterschiedlich wahrgenommen werden können, lässt eine Sexismusdebatte hier außerhalb von Extrembeispielen wie z.B. besagten Babe-Galerien kaum pauschale Aussagen zu, schon allein weil allein die Wahrnehmungen, Positionen und Reaktionen von Betroffenen manchmal sehr unterschiedlich sein können. Das kann ich noch so sehr nicht gut finden, aber es wäre naiv und schlicht falsch zu behaupten, es gäbe da einen allumfassenden Konsens. Wie oft in feministischen Diskursen bedeutet das unter anderem auch, dass in dem Moment, in dem ich mich feministisch äußere, selbstverständlich nicht nur von Männern angegriffen werden kann, sondern es auch Frauen gibt, die meinen Feminismus für übertrieben halten und mich sogar beschimpfen.
Die Folge? Ich teile manche meiner Texte bewusst unter keinem Hashtag, vermeide bestimmte Wörter in meinen Tweets und überlege mir bei manchen Themen drei Mal, ob ich wirklich darüber schreiben will oder ob ich im Augenblick doch keine Energie dafür habe. Selbst mit meiner kleinen Reichweite und selbst in meiner vergleichsweise privilegierten Position. Und ja, die klassischen “Nerdthemen” sind in dem Punkt immer schlimmer. Meine erste Aufforderung, doch einfach sterben zu gehen, weil ich als Frau ja keine Ahnung hätte, habe ich nicht für einen meiner im Vergleich oft viel eindeutiger feministischen Texte über Romane oder die Buchszene erhalten, sondern für einen politisch harmlosen Text über “Game of Thrones”. Und ja, meistens rede ich über diese Dinge nicht, weil ich solchen Leuten nicht noch eine Plattform geben will und sich alles bisher zum Glück in einem Rahmen bewegt hat, in dem ich die freie Wahl habe, so oder anders damit umzugehen. Auch das ist im Netz nicht immer selbstverständlich.
All das macht es wichtig, dass auch oder gerade bei “Nerdthemen” wie Spielen Männer sich solidarisch zeigen und deutlich Stellung beziehen. Es ist mir nicht ohne Grund wichtig, auf mit angeblicher “historischer Korrektheit” begründeten Sexismus nicht mit historischen Argumenten zu antworten, sondern schlicht diesen Sexismus zu verurteilen. Menschen, die diesen Sexismus absondern, sind die, denen es nicht um Fakten geht, sondern darum, dass “die Frau da” verschwinden soll. Gegen so etwas sollte wirklich jeder Kante zeigen und wenn es nur ist, dass man Accounts blockt, auf denen dieser Mist veröffentlicht wird. Keine Legitimation von Sexismus oder Rassismus durch einen Dialog mit denen, die ohnehin nicht an Dialog, sondern nur an ihrem mal mehr mal weniger kaschierten Hass interessiert sind. Deshalb ist es mir auch egal, ob ein Mann sich selbst als Feminist bezeichnet oder nicht – Ich will, dass er feministisch handelt und solchen Leuten die Tür zeigt statt sie noch durch Dialog zu legitimieren. Gleichzeitig ist es mir aber auch egal, ob sich jemand für einen feministischen Verbündeten hält, wenn er ein Thema vereinnahmt und ungefragt im Namen von Betroffenen etwas aufzuarbeiten versucht, in dem zuerst einmal own voices zu hören wären.
Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht
Dass solche Vereinnahmungen oft sicher gut gemeint sind – geschenkt. Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht und genau das ist auch eines meiner großen Probleme mit Aktionen wie eingangs erwähnten Thread. Denn auch wenn ich in der Sache vollkommen zustimme, dass Babe-Galerien oder -Bewertungen zutiefst sexistischer Mist sind, die Frauen herabwürdigen und eine sexistische Kultur nur weiter befeuern, stört mich diese Art zutiefst, was in diesem konkreten Fall auch an der Polemik des Threads liegt. Sexismus ist in der Größenordnung einer ganzen Szene oder Branche ein komplexes und vielschichtiges Thema voller Probleme und unterschiedlicher Einflüsse, die zum Teil auch nicht immer nur im Hass Einzelner auf Frauen, sondern auch an fehlenden Strukturen zum Stärken von Frauen und Minderheiten, Ignoranz angesichts finanzieller Interessen und potentiell tausend anderen Dingen liegen können. Das macht nichts besser, aber dieses Ineinandergreifen von unterschiedlichen Faktoren zu ignorieren und das Thema damit extrem zu vereinfachen, sorgt für mehr Schaden als Nutzen, zumal die ersten, die dieser Schaden dann treffen wird, am Ende sowieso die Falschen sein dürften.
Deshalb ist Polemik in dieser Diskussion nicht nur so gefährlich, sondern deshalb ist es auch umso wichtiger, dass Männer sich mit Betroffenen zwar solidarisieren, aber auch nicht ihre Stimmen übernehmen und übertönen. Wer sich groß als solidarisch inszeniert, aber dann polemisch und unkonstruktiv nur ausholt statt own voices zu Wort kommen zu lassen, ist unterm Strich genauso schädlich wie die Leute, die öffentlich über Diskriminierung reden wollen ohne Betroffene einzuladen und dann aus ihrer privilegierten Position heraus zu dem Schluss kommen, dass alles ja eigentlich “nicht so schlimm” sei. In beiden Fällen zieht jemand einen Vorteil aus einem Problem, das ihn selbst nicht direkt betrifft und dessen Folgen er wahrscheinlich nie oder in dem Maße – mit großer Wahrscheinlichkeit sogar – nicht wird tragen müssen, und statt nur darauf aufmerksam zu machen und in erster Linie Betroffenen zuzuhören und ihre Perspektiven sichtbar zu machen, vereinnahmt er eine Debatte für sich, bei der es nicht an ihm liegt, zu sagen, wo genau das Problem liegt. Im Fall von öffentlichen Aufarbeitungen von z.B. Sexismus bedeutet das sogar noch oft genug, dass diese Person schlicht und ergreifend Profit in Form von Klicks, Followern u.a. aus Themen schlägt, die für Betroffene bitterer Ernst sein können. Kurz: Jemand ist nicht betroffen, tut aber so als wäre er eine Autorität auf diesem Gebiet von ganz persönlichen Erfahrungen und sehr speziellen Perspektiven und im schlimmsten Fall nun plötzlich auch ein Heilsbringer bei diesem Problem. Tatsächlich ist er aber zu seinem Glück in einer privilegierten Position, in der die realen Folgen fast immer an ihm abperlen werden, und geht am Ende des Tages sogar noch mit Reichweite und dem guten Gefühl aus der Debatte raus, ja einer von den Guten zu sein. Er kann immer weggehen und sich dem Thema ganz entziehen, wenn es ihn zu sehr belastet. Das ist für Betroffene schlicht sehr viel schwerer bis unmöglich.
Unterstützt Betroffene und hört zu
Das verdeutlicht auch das grundlegende Problem hinter dieser Art Vereinnahmung. Wer bestimmte Erfahrungen in dieser Form wohl nie so machen wird, hat automatisch eine andere Perspektive. Das kann manchmal hilfreich sein, manchmal auch nicht. Diese andere Perspektive bedeutet aber auch, dass Solidarität nicht über Bevormundung laufen kann und darf. Kritik an Sexismus muss immer zuerst auf den Perspektiven Betroffener und im Idealfall nicht vereinfachend und konstruktiv sein, auch weil es oft genug hinter den Kulissen genug Leute, auch Betroffene, gibt, die genauso gegen bestimmte Dinge ankämpfen, aber an den Strukturen scheitern. Deshalb: Unterstützt Journalistinnen, Streamerinnen, Entwicklerinnen, Autorinnen, Podcasterinnen, Bloggerinnen. Unterstützt Spielerinnen. Auch die, die sich nicht selbst als solche bezeichnen und gerne mal abfällig als “casual gamer” abgetan werden. Unterstützt allgemein Frauen und Minderheiten, haltet ihnen den Rücken frei, wenn sie z.B. Sexismus erfahren, und fragt vor allem, wie ihr helfen könnt, anstatt einfach nur zu machen. Lasst sie nicht allein, aber bevormundet sie auch nicht. Hört zu allererst einmal zu und sucht dann konkret nach Lösungen. Denn nur Polemik oder nur Selbstinszenierung hilft nicht.
Artikelbild: Ugur Akdemir via Unsplash
Parallel zu meinem Artikel hier hat Michelle auf Büchnerwald übrigens einen anderen Text veröffentlicht, der das Thema besagten Threads aus anderer Perspektive aufgreift.
7 Comments
Die antifaschistische Verantwortung der Game Studies – gespielt
22. April 2020 at 7:05[…] mit Weiblichkeit assoziierte Spiele wie “The Sims” oder “Animal Crossing” werden bis heute für Cybermobbing und Ausgrenzung genutzt. Die übersexualisierte Darstellung von weiblichen und die negative Darstellung oder Abtötung von […]
Warum sich im Spielejournalismus gewaltig etwas ändern muss – Büchnerwald
22. Januar 2019 at 14:44[…] Aurelia von Geekgeflüster und ich haben uns zusammengetan, um das Problem anzusprechen. Ihren Beitrag findet ihr hier: Sexismus und Gaming: Über Bevormundung und Profilierung. […]
Die eskapistischen Links der Woche 34/2018 | nerdlicht.net
12. November 2018 at 15:08[…] hinweisen. In beiden wird sich klug und differenziert mit den Themen Gender und Fandom sowie Sexismus und Gaming auseinandergesetzt. […]
Flashback August 2018 | RikeRandom
1. September 2018 at 10:01[…] Auf Geekgeflüster hat Aurelia einen ausführlichen und wirklich sehr guten Artikel zu Sexismus und …. […]
Babsi taucht ab (August 2018) • BlueSiren
31. August 2018 at 18:03[…] Dass die liebe Aurelia genaiel Blogbeiträge schreibt, dürftet ihr inzwischen hoffentlich bemerkt haben. Dieses Mal beschäftigt sie sich mit Sexismus und Gaming. […]
Melanie
13. August 2018 at 17:05Ich arbeite seit gefühlten Ewigkeiten an einem Blog Beitrag zu dem Thema Sexismus in Videogames. Aber ich will mich da generell auf ein paar Beispiele beschränken die mich halt immer direkt Triggern. Generell stimme ich dir in allem zu. Das erstmal Vorweg. Das Thema Sexismus in der Gaming Szene ist super Vielschichtig.
Ich merke in letzter Zeit wie es die ein oder anderen Dinge gibt die mich direkt aggro werden lassen. Ich meine von dem Thema “Sexismus in Videogames” fange ich hier mal gar nicht erst an, da wären wir in einer Woche noch hier…. Was mich eher stört sind Männer die Frauen in Videogames begegnen. Ich habe vor ein paar Tagen erst mein Battletag geändert damit man NICHT erkennt das ich eine Frau bin. Ist das nicht traurig? Ebenso bekomme ich aktuell immer die totale Krise, wenn ein männlicher Mitspieler behauptet oder unterschwellig es so darstellt als wäre ich ein Dummchen und wüsste nicht was ich tue. Das ist etwas, dass mich in MMOs einfach mega ankotzt. Wie mir männliche Mitspieler immer erklären wollen wie ich meine Klasse richtig zu spielen habe… Gerade in Games wo ich weiss, dass ich gut bin, raste ich dann immer direkt aus. Warum traut man mir als Frau nicht zu das ich ein Videogame gut kann? Sind wir ehrlich…. das kommt oft vor das man unterschätzt wird. Man schaue sich einfach mal Gamer Facebook Gruppen an wo man oft auch nur belächelt wird. Schafft man einen Erfolg, kommen meine männlichen Mitstreiter um die Ecke und sagen mir das die das viel besser und schneller geschafft haben. Ich drehe da echt durch. Selbst mein Mann sagt, dass viele Männer das einfach nicht ab können wenn eine Frau gleich viel drauf hat oder mehr…. Da kommt dein Thema hier genau richtig.
Nur weisst was das schlimme ist? Der Artikel wurde zwar runter genommen… aber bald ist Gamescom. Wetten wir das da wieder die heissen Babes in knappen Kostümen rumrennen? Zum kotzen ist das.
Warum sich im Spielejournalismus gewaltig etwas ändern muss – Büchnerwald
12. August 2018 at 10:29[…] problematisch. Mehr zu diesen Thema könnt ihr bei dem Partner-Beitrag zu diesem Artikel auf Geekgeflüster […]