Im Gegensatz zur Grundschulzeit fiel es mir auf dem Gymnasium zunehmend schwerer Freund_innen zu finden. Während ich als Kind noch als Königin der Diddl-Blätter und Pokémon-Karten gefeiert wurde, “mutierte” ich im Teenage-Alter zunehmend zur uncoolsten Person der Klasse. Schnell wurde der PC inklusive Die Sims 2 und allen DLCs sowie Neopets (wo ich mich der Website-Programmierung annäherte) meine besten Freunde.
Da wir nicht viel Geld hatten, bekam ich von anderen Videospielen nicht viel mit. Ich wollte das auch gar nicht, denn was ich nicht kannte, musste ich mir nicht vergeblich wünschen und auch keine anderen Menschen darum beneiden. Wozu auch? Auf Neopets und in Die Sims 2 verbrachte ich gefühlt die beste Zeit meines freundelosen Daseins. Es lenkte ab, es machte Spaß und als netten Nebeneffekt lernte ich HTML und CSS.
Manchmal dachte ich darüber nach, ob ich den PC vielleicht ausgeschaltet lassen sollte, ob es besser wäre, sich wie ein “normaler” Teenager zu verhalten, aber als einzige (B)PoC in einer Klasse voller weißer Menschen zu sein und zusätzlich aus armen Verhältnissen kommen, ließ nicht viel Spielraum für “Anpassung”.
Du bist nie alleine. Es ist immer irgendwer wie du.
Was ich jedoch in all der Zeit alleine in virtuellen Welten nicht bemerkte: Ich war nicht die einzige, die scheinbar nicht zum Rest passte und gerne vor dem Computer hing. Obwohl wir in die selbe Klasse gingen, fing ich an zwei Leute eher über Chatterei via MSN besser kennenzulernen. (Wahnsinn, wie blind wir manchmal für die Menschen um uns herum sein können.)
Person 1 kannte sich noch viel besser mit Computern und Programmierung aus, da sein Vater Informatiker war. Schnell fingen wir an auch online kleine Spiele über den MSN Messenger zu spielen (die ICQ-Spiele waren übrigens um einiges cooler!) und irgendwann erzählten mir die beiden aus meiner Klasse von Retro-Games auf dem damaligen DOS-System.
Unser erster Familien-Computer lief tatsächlich auch über ein DOS-System, mein erstes Game war “Commander-Keen”, aber auch bekanntere Klassiker wie “Monkey Island” oder “Prince of Persia” liefen darauf. Das System und die Grafik waren mir also nicht unbekannt. Wir installierten also alle fleißig DOSBox, um gemeinsam gegen Dämonen zu kämpfen! Zum ersten Mal in meinem Leben startete ich einen Ego-Shooter. Die irgendwie groteske Welt von DOOM hatte es Mir sofort angetan. Das einzige Problem: Ich hatte keine Ahnung was ich tat. Natürlich wusste ich, dass ich auf Dämonen schießen musste, aber alles überforderte mich irgendwie.
Während ich in Die Sims 2 entspannt Häuser baute, musste ich nun mit Tempo Dämonen töten, Waffen und Munition sammeln und hinter meinen beiden Freunden her rennen, die wie selbstverständlich durch die Level rasten, Geheimnisse fanden und schon alles getötet hatten, bevor ich überhaupt ankam. Obwohl sie versuchten mir so gut wie möglich zu helfen (ständiges Erklären der Steuerung, Wegbeschreibungen im Spectator-Mode, zeigen von nützlichen Waffen etc.), wurde das Ganze schnell frustrierend.
Am Ende eines jeden Levels konnte ich mein Scheitern schön in Zahlen sehen: kaum etwas getötet, keine Geheimnisse gefunden, letzter Platz. Die Level wurden meist schon von den anderen beiden beendet, bevor ich überhaupt ans tatsächliche Ende gelangte.
Wie konnte man ein Spiel in seiner Gesamtheit so sehr lieben und gleichzeitig hassen?
Dieses ständige Scheitern im Koop-Modus gab mir das Gefühl mich wieder weiter von den beiden, gerade erst neu gewonnenen Freunden zu entfernen. Das genaue Gegenteil von dem, was das gemeinsame Spielen eigentlich auslösen sollte. Jedes Mal, wenn sie fragten, ob wir DOOM spielen wollen, hatte ich weniger Lust, erfand teilweise ausreden, um nicht mitspielen zu “müssen”. Wie konnte man ein Spiel in seiner Gesamtheit so sehr lieben und gleichzeitig hassen?
Eines Abends ließ ich mich wieder dazu überreden mitzuspielen. Das gemeinsame Reden über Skype mit Menschen, die ähnlich tickten wie ich und die ganze Aufmachung von DOOM, kriegten mich doch immer wieder dazu DOSBox zu starten.
Wieder irrte ich alleine in einem Level herum. Nachdem ich unzählige Male gestorben war und schon fast wieder aufgeben und stattdessen alleine Sims spielen wollte, fand ich endlich den virtuellen Weg zu meinen Freunden.
Gut ausgerüstet warteten sie an einer Tür und ich hatte nur meine Fäuste. Ich wusste sofort, wenn diese Tür aufgemacht wird, hinter der zig Dämonen lauerten, würde ich direkt wieder sterben und dann vermutlich frustriert den PC herunterfahren.
Die Tür ging auf, vor uns riesige runde Cacodemons, die mit ihrem einzigen Auge auf uns starten runde Blitze in unsere Richtung spukten. Anscheinend waren meine Freunde doch nicht gut genug ausgerüstet um mehrere Cacodemons zu töten und als ich verzweifelt durch meine nicht-vorhandenen Waffen ging, in der Hoffnung doch noch etwas nützliches zu finden, hielt ich plötzlich eine Kettensäge in der Hand. Wo ich die her hatte? Keine Ahnung. Ich wusste bis eben ja nichtmal, dass ich eine hatte.
In meinen Kopfhörern schrien die anderen beiden freudig und ich wusste nicht, was passierte. “Renn da rein! Renn in die Rofl-Kugel (so nannten wir die Cacodemons damals).”, rief einer der beiden und unwissend tat ich es einfach – mit Erfolg.
Dieser komplett absurde Moment, in dem mein persönliches Scheitern und meine grauenhafte Spielweise uns weitergebracht hat, war einer der lustigsten Momente, die wir in-game hatten und zum ersten Mal begriff ich, dass man keine großartige Spielerin sein muss, um Spaß zu haben und dass es Menschen gibt, die mit einem Zeit verbringen wollen, auch wenn man effektiv nicht viel zum Erfolg beiträgt. Einfach weil sie dich mögen, als Menschen.