Scheitern war für mich in Spielen für lange Zeit die schlimmste Erfahrung, die ich um jeden Preis zu vermeiden versuchte. Shooter stellten dabei für mich dabei das größte Potenzial da, mich damit zu konfrontieren, deshalb machte ich bis vor kurzem einen großen Bogen darum. Overwatch hat meine Angst vorm Scheitern (auf schmerzhafte Weise) aber deutlich verringert.
Overwatch gehört zu einem der beliebtesten Spiele-Genres unserer Zeit, dem First-Person-Shooter (FPS). Und unter den FPS ist es außerdem eines der erfolgreichsten mit über 35 Mio. verkauften Kopien weltweit. Es ist also ein Spiel, das von vielen Millionen Nutzer*innen zumindest einmal gekauft wurde und von mindestens Tausenden noch aktiv gespielt wird. Und es ist auch verständlich wieso: Neben dem hilfreichen Zusatz, dass es sich bei dem Spiel um einen Online-Multiplayer handelt, Spieler*innen also nach Herzenslust mit den eigenen Freund*innen gegen gegnerische Teams antreten dürfen, hat das Spiel ein diverses Set an spielbaren Figuren (insgesamt sind es momentan 30 Held*innen), alle mit eigenen, abwechslungsreichen Fähigkeiten. Liebevolle Animationen, aufwendig und detailliert gestaltete Umgebungen und eine über mehrere Kanäle (wie Comics, Videos oder Kurzgeschichten) erzählte Geschichte rund um das Spiel und seine Figuren rundet die Spielerfahrung ab.
All dies waren auch für mich sehr starke Argumente, mich stärker mit Overwatch auseinanderzusetzen, allein schon weil viele meiner Freund*innen mich immer wieder darauf ansprachen. Allerdings machte ich lange aktiv einen Bogen darum. Wieso? Seit ich angefangen habe digitale Spiele zu spielen ist mein Respekt für FPS unglaublich groß und dementsprechend einschüchternd.
Auf der einen Seite ist das einer ästhetischen Gewöhnung verschuldet, da ich als Kind und Jugendliche eigentlich nur mit Spielen in Berührung kam, die eine wie auch immer geartete Perspektive auf den Avatar boten; seien es 2D-Jump-and-Runs wie Super Mario World oder 3D-Action-Adventures wie Kingdom Hearts oder Okami. Mir fiel es leichter mich selbst bzw. meinen Avatar in der Spielwelt zu verorten, wenn ich sie vollständig sehen konnte. Alles andere wirkte (und wirkt auch manchmal immer noch) sehr befremdlich auf mich. Zum Beispiel hatte ich in der First-Person-Perspektive stets den Eindruck, ein eingeschränktes Sichtfeld zu haben, weil ich mich erst umdrehen musste um zu sehen, was unmittelbar hinter mir (bzw. meiner Spielfigur) stattfindet.
Auf der anderen Seite wiegt meine Sozialisation als Spielerin besonders schwer. Meine engen Schulfreund*innen – zumindest die, die sich auch für Spiele interessierten – hatten kein Interesse an FPS. Entweder waren sie zu ‚cool‘ für dieses Mainstream-Genre, mit dem sich vermeintlich doch sowieso nur diejenigen abgaben, die kein Interesse an ‚wirklich guten‘ Spielen hatten. Oder sie waren – wie ich – eigentlich überhaupt nie damit in Berührung gekommen. Sich damit auseinanderzusetzen oder sich bloß dafür zu interessieren, hätte mich also automatisch zu einer Außenseiterin gemacht. Hinzu kam außerdem das allseits bekannte Klischee, dass ich als Mädchen doch sowieso kein Interesse an FPS hätte und, wenn doch, ich auf jeden Fall zu schlecht wäre, um beim gemeinsamen Spielen Spaß mit mir zu haben.
Diese Unterstellungen und Vorprägungen verursachten, gerade in Bezug auf FPS, meine Angst vorm Scheitern. Ich war allein schon deswegen ‚besonders‘, weil ich mich als Mädchen für Videospiele interessierte und zählte diesen Besonderheitsstatus lange zu einem festen Teil meiner Identität. Eng daran geknüpft war allerdings auch, dass ich ‚gut‘ in Spielen sein musste oder zumindest passabel, um mir diesen Besonderheitsstatus zu bewahren. Und die Angst zu offenbaren, dass ich vielleicht nicht in allen Genres gleich gut war (oder sein konnte, allein weil ich damit nie in Berührung kam), war sehr groß. Was wäre, wenn meine Freund*innen denken würden, dass ich ein Fake (oder ein Fake-Gamer-Girl) war, das eigentlich nur so tat, als würde es Videospiele mögen, um anderen zu gefallen?
Also hielt ich mich fern von FPS, insgesamt eine pure Vermeidungsstrategie: Vor Overwatch gab es viele andere Vorschläge und Empfehlungen von Freund*innen, die ich nur in den seltensten Fällen annahm. Dabei handelte es sich meistens um Walking Simulators, die mir eine First-Person-Perspektive zwar nahebrachten, aber nicht viel mehr von mir verlangten, als mich durch eine Spielwelt zu navigieren und sie in meinem eigenen Tempo zu erkunden – Firewatch ist dafür ein gutes Beispiel. Aber wieso wählte ich gerade Overwatch, um mich meiner Angst vorm Scheitern zu stellen?
Meine Angst vorm Scheitern in Overwatch
Wieso Overwatch für mich nicht die beste Wahl war, um mich meiner Angst zu stellen, lässt sich leicht durch den Genrezusatz ‚Online-Multiplayer‘ des Spiels erklären. Auch diesem Genre blieb ich aus sehr ähnlichen Gründen einem Großteil meines bisherigen Lebens fern. Hinzu kam noch die dauerhafte Berichterstattung von Medien und Freund*innen, dass sich dort meist toxische Communities manifestieren, die vor allem Einsteiger*innen wie mir das Leben schwer machten. Vor der Existenz von Overwatch wurde oft League of Legends als Beispiel genannt.
Dies war aber nicht das einzige Problem mit Overwatch: Es war nicht nur ein Spiel, dessen Grundprinzipien ich auf mehreren Ebenen nicht beherrschte – nein, es machte aufgrund der Teambasiertheit des Multiplayers mein potenzielles Scheitern auch noch sichtbar. Sichtbar für diejenigen, mit denen ich in einem Team spielte und die von meiner Leistung als Teammitglied abhängig waren. So enttäuschte ich womöglich nicht nur mich selbst, sondern auch noch andere. Die Angst davor wuchs sogar noch, wenn ich mir vorstellte Overwatch gemeinsam mit Freund*innen zu spielen, denen ich mich natürlich noch verpflichteter fühlte, als völlig Fremden.
Paradoxerweise war die Tatsache, dass ich Overwatch mit Freund*innen spielen würde, gleichzeitig der größte Motivator, mich überhaupt an das Spiel zu wagen. Mir gefiel die Vorstellung, online über Voice-Chat in einem Spiel Zeit mit meinen Freund*innen zu verbringen und gleichzeitig im vertrauten Heim Videospiele zu spielen. Da zu dieser Zeit sehr viele Personen in meinem Freundeskreis Overwatch spielten, bot es sich also wie kein anderes dafür an, in diesen sozialen Bestandteil des Gamings einzusteigen, mit der ich mich bis dahin ebenfalls wenig auseinandergesetzt hatte. Das stetige Fragen meines Umfeldes, ob ich das Spiel doch nicht wenigstens mal ausprobieren wolle, wenn es das nächste Mal für ein Wochenende frei spielbar sei, gab mir dann letztendlich den Anstoß meinen eigenen Schatten und die Angst zu überwinden und mich dem sozialen Zwang zu fügen.
Mein Scheitern in Overwatch
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass Overwatch mir von Anfang an gefiel. Nein, vielmehr waren die ersten Runden die pure Hölle. Es war ein digitaler Albtraum bestehend aus wildem Geschieße, der Unkenntnis der Steuerung, einem überfordernden Interface, für mich nicht dekodierbaren Symbolen und Hinweisen, gut gemeinten aber ebenfalls überfordernden Tipps von Mitspieler*innen und einer überwältigenden Auswahl an möglichen Held*innen mit eigenen Fähigkeiten sowie Vor- und Nachteilen. Damit kombiniert war die stetige Angst, Freund*innen und Teammitglieder zu enttäuschen, vielleicht sogar allein schuld an den beinahe immer katastrophal laufenden Runden zu sein.
Ich hatte also eine sehr lange Zeit nicht den geringsten Spaß mit Overwatch, weil mir die Abläufe im Spiel unverständlich waren. Jeder normale Mensch hätte wohl aufgehört, sich an einem so frustrierenden Spiel die Zähne auszubeißen. Doch obwohl es mich mehr als einmal an meine Grenzen trieb, gab ich nicht auf. Und zwar nicht, weil ich daran interessiert war, besser in Overwatch zu werden, sondern weil mich die soziale Komponente daran mehr faszinierte, als ich es geahnt hatte. Dies trifft nicht unbedingt auf die Interaktion mit fremden Mitspieler*innen zu, die selten zögerten mich darauf hinzuweisen, dass ich absoluter Müll in der Runde gewesen war. Dafür genoss ich es aber umso mehr online Zeit mit Freund*innen zu verbringen, mit denen ich sonst weniger zu tun hatte und über die ich auch andere, neue Leute kennenlernen konnte, die ebenfalls Overwatch spielten.
Ich kann mich nicht daran erinnern, wann genau sich das Gefühl von Überforderung und Verzweiflung änderte, wann ich damit begann, Overwatch freiwillig und unabhängig von Freund*innen zu spielen und endlich Spaß hatte. Vielleicht als ich mich auf eine feste Spielfigur festgelegt hatte, die ich lernen wollte und deren Fähigkeiten mir sinnig und anwendbar erschienen. Oder vielleicht als ich endlich verstand, wie ich Gegner*innen von Teammitgliedern unterscheiden konnte und was die anderen Symbole und Anzeigen auf dem Bildschirm zu bedeuten hatten. Vielleicht auch als ich mir nicht mehr den Kopf über Tastenbelegungen zerbrechen musste oder langsam das Gefühl bekam, bei einem Sieg nicht nur mitgeschleift worden zu sein, sondern auch wirklich etwas dazu beigetragen zu haben.
Kaum ein anderes Spiel hat mich stärker frustriert als Overwatch. Bei jedem anderen Spiel hätte ich vermutlich einfach aufgehört es zu spielen, nur noch schlecht darüber geredet und es vielleicht sogar in meinen Träumen angezündet und lachend dabei zugeschaut, wie es verschmort (nicht in der Realität, das ist schlecht für die Umwelt). Aber Overwatch hat mich zu Vieles gelehrt, als dass ich es wirklich hassen könnte. Und damit meine ich nicht nur, dass ich gelernt habe, wie Shooter funktionieren, was mir zu einer gesenkten Hemmschwelle bezüglich dem Ausprobieren neuer FPS verholfen hat. Nein, es hat mir auch viel darüber beigebracht, was ich an Spielen schätze und dass Scheitern in und an Spielen nichts Schlimmes ist. Ganz im Gegenteil: Ich mag es, wenn Spiele mir eine Lernkurve geben, mich sogar an den Rande der Verzweiflung bringen, aber der Erfolg in nicht unerreichbarer Entfernung ist. Kurz gesagt, ich mag das Scheitern, wenn ich dabei etwas lerne, zum Beispiel was meine Fehler waren und wie ich beim nächsten oder übernächsten Versuch diesen Fehler vielleicht vermeiden kann. Und zu sehen, wie oft auch andere in meinem Team scheitern und trotzdem weitermachen, hat mir gezeigt, dass ich ebenso scheitern darf wie alle anderen auch.