Das Scheitern, das Nichtbestehen bestimmter Levelabschnitte, könnte man eigentlich als integralen Bestandteil des Spielens selbst betrachten. Besser gesagt „hätte“ man dies für eine lange Zeit, denn mit dem Aufkommen von Titeln, die ihre Narrative und Atmosphäre eindeutiger in den Fokus stellen und spielerisch weniger herausfordernd gestaltet sind, ist ein „fail state“ mittlerweile nicht mehr zwingend für ein kohärentes Spielerlebnis erforderlich. Um ein solches Spiel soll es hier allerdings nicht gehen…
Stattdessen tauche ich in meiner persönlichen Anekdote über das Scheitern ab in eine Zeit, in der Spielen bei mir noch unreflektierter und unbedachter stattfand, in eine Zeit, in der ich selbst noch dabei war, das Medium für mich zu entdecken – und in eine Zeit, in der einem einzelne Spiele, ungeachtet ihrer Qualität, noch etliche Tage, Wochen und Monate beschäftigt haben, denn das mühsam zusammenverdiente Taschengeld musste sich ja irgendwie auszahlen. Ein weiterer Grund war natürlich auch, dass ich mit meinen unerfahrenen, knapp neun oder zehn Jahren nicht gerade einen Katalog an sonstigen Spiele-Perlen im Kopf parat gehabt hätte, auf den ich im Fall eines Fehlgriffes hätte zurückgreifen können. Im Gegenteil, jeder neu erworbene Titel stellte ein bisher unerforschtes Faszinosum dar.
Ich erinnere mich an diese relativ kurze Zeitspanne von vielleicht zwei, drei Jahren, in denen der von meinen Eltern und mir häufig frequentierte Supermarkt nahe unseres Hauses aus irgendeinem Grund plötzlich Videospiele im Angebot hatte. Mein junges Ich staunte nicht schlecht, als es eines Tages zwischen den mit Küchenrollen, Joghurten und sonstigen mit Standard-Supermarktinhalten gefüllten Verkaufsregalen eine Handvoll aneinandergereihte Spiele vorfand. Es handelte sich dabei um in dicke Pappe-Boxen verpackte Ausgaben von Computerspielen, die meist bereits ein paar Jahre auf dem Buckel, und scheinbar eine Art GOTY- oder Gold-Status erlangt hatten. Ich erinnere mich, dass ich dort beispielsweise den ersten Teil der Sacred- als auch Age of Empire-Reihe kaufte und mit beiden eine Menge Spaß hatte. Und ich erinnere mich noch sehr klar an jenen Titel, um den es hier eigentlich gehen soll: Stronghold.
2001 erschienen, von Entwickler Firefly Studios konzipiert und Publisher Take 2 Interactive vertrieben. Meine Erinnerung an den genauen Zeitpunkt, an dem ich das erste Mal mit Stronghold in Berührung kam, ist leider etwas schwammig, aber ich bin mir relativ sicher, dass es wohl einige Jahre nach 2001 gewesen sein muss, also gehen wir mal davon aus, dass ich ungefähr 9 oder 10 Jahre alt war. Die Erinnerungen an meine Erfahrungen mit dem Titel sind dagegen umso klarer, vor allem das zwiespältige Bauchgefühl, das mich auch heute noch heimsucht, wenn ich an die enthaltene Militärkampagne zurückdenke. Aber fangen wir mal bei 0 an…
Man muss sich Stronghold (das heute seine Bekanntheit wahrscheinlich größtenteils aus dem recht beliebten Ableger „Crusaders“ zieht) als eine Mischung aus Aufbau- und Echtzeitstrategie im Mittelalter-Setting vorstellen. Ihr werdet auf eine Karte mit verschiedenen Rohstoffen geworfen und baut euch allmählich eine Festung auf, während ihr gleichermaßen die Wünsche und Befindlichkeiten eurer Bürger als auch den Zustand eurer Armee im Auge behalten müsst. Konsequenterweise bietet Stronghold daher auch gleich zwei Kampagnen an, eine wirtschaftsbasierte, die lediglich vier Missionen parat hat, und eine militärische mit stolzen 21 – die ich allerdings nie in Gänze zu Gesicht bekommen habe.
Ich erinnere mich noch genau an die Zeit mit Stronghold. Wie ich nicht nur alleine, sondern auch mit meinen damaligen Mitschülern und Freunden zusammen gespielt und mich mit ihnen ausgetauscht habe. Für mich war dies einer der ersten Kontakte mit dem Strategiespielgenre, und der eigentlich überschaubare Umfang des Spiels fesselte und beschäftigte mich über Wochen. Und Monate. Zumindest kommt es mir im Nachhinein so vor. Vielleicht spielte ich die einzelnen Missionen und den enthaltenen Modus des freien Bauens auch einfach nur immer und immer wieder, oder benahm mich in meiner Unerfahrenheit einfach so unbeholfen im Versuch, Wirtschaft und Militär in Einklang zu bringen, dass ich die Zeit auch wirklich benötigte.
Das Scheitern in Stronghold konnte sich auf vielfältige Weise widerspiegeln: War keine Nahrung mehr im Kornspeicher, der Produktionsfluss für eben diese nicht ausreichend gegeben, oder wurde auch sonst auf die Sorgen der Bewohner nicht adäquat Rücksicht genommen, konnten diese zu jedem Moment ihre Arbeit stehen und liegen lassen und die Burg verlassen. Wo auch immer sie dann hingingen, denn bis auf das traurige Auflösen der Figuren und dem tristen Kommentar eures euch ständig in den Ohren liegenden Beraters, gab das Spiel reichlich wenige Informationen zum Verbleib der nun Ex-Bewohner eurer Burg. Doch auch wer brav den Beliebtheitsfaktor im Auge behielt, geriet Gefahr, im Laufe der Militärkampagne mit jenen haarsträubenden Missionszielen in Clinch zu geraten, die auch mein jüngeres Ich zur Verzweiflung brachten…
Um noch mal einen Eindruck vom Spiel zu bekommen, spielte ich für diesen Text auszugsweise nochmals in die HD-Fassung von Stronghold rein und wurde dort von zweierlei Art Gefühlen begrüßt. Noch immer kann ich mich am langsamen und gemütlichen Aufbau-Teil des Spiels erfreuen, noch immer gefallen mir Musik, Stimmung und der stetige Ausbau von Verteidigungsanlagen. Unbehaglich wurde es dann allmählich, als militärische Missionsziele mehr und mehr in den Mittelpunkt der Kampagne gerieten, und ich auf einmal merkte, was mir hier vor vielen Jahren möglicherweise mitunter Probleme bereitet hat.
Das ganze Management und die Steuerung der Armee funktioniert leider extrem schwerfällig. Selbst kleine Komfortfunktionen die heutzutage absolut Usus sind, wie das Setzen von Positionsmarkern bei den Produktionsgebäuden gibt es nicht, sodass man neu erstellte Einheiten in hitzigen Situationen immer direkt von ihrem „Entstehungsort“ des Lagerfeuers auf ihrem Weg zur jeweiligen Militäreinrichtung abfangen und direkt ins Scharmützel schicken muss. Denn ohne die eigenen Einheiten explizit mehrmals darauf aufmerksam zu machen, sie könnten ja mal bitte den Feind angreifen, stehen selbst Bogenschützen in bester Schussposition stattdessen gerne mal gelangweilt auf den Burgzinnen, während bewaffnete Unholde unter ihnen allmählich die Steinwallen kaputtklöppeln. Dieses Trauma der unausgereiften Militärsteuerung gipfelte damals wie heute an genau einem speziellen Punkt: Der 15. Mission, bei welcher ihr ausnahmsweise mal nicht als verteidigende, sondern angreifende Person agieren müsst. Mit begrenzter Truppengröße gilt es hier eine befeindete Burg zu erobern. Das Zeitlimit das euch dabei zusätzlich auferlegt wird, macht das Ganze nicht einfacher.
Hier war für mein jüngeres Ich Schluss. Ende. Das behäbige Manövrieren der Truppen in Kombination mit dem absoluten Fehlen von jeglicher Hilfestellung seitens des Spiels führte nur ein ums andere Mal zum elendigen Ableben meiner leidtragenden Armee. Kein Weiterkommen möglich auch nach etlichen Versuchen, viel Gefluche und gefühlten Litern vergossenen Schweißes. Let’s Plays gab es damals noch nicht, daher kam ich auch nicht auf die Idee, Taktiken für diese in meinen Augen unschaffbare Mission aus dem Internet aufzutreiben. Was ich jedoch fand, waren Cheats, welche in den frühen 2000ern noch eine ganz andere Kultur und Blütezeit hatten, als heutzutage. So übersprang damals ich mit leichten Schuldgefühlen dieses Ungetüm von Mission und versuchte, auf diesem Wege die Kampagne zu einem Ende zu bringen: Doch dann kam auch schon Mission 18 – und damit eine WEITERE in meinen Augen noch weniger machbare Belagerungsmission, die scheinbar irgendetwas in mir ausgelöst haben muss.
Bis heute habe ich nie das Ende dieser Kampagne gesehen. Ich habe es nicht mal versucht. Ich hätte damals diese zweite Belagerungsmission schummelnder Weise sicherlich genauso überspringen können wie die erste. Aber irgendetwas an Mission 18 (zum Beispiel das Flammenmeer an tödlichen Feuerpfeilen, welches für mich nur die erste von vielen schier unbezwingbaren Herausforderungen in diesem Level darstellte und welche mich hier noch gnadenloser zu Boden zwangen als zuvor noch Mission 15) musste mich damals dazu veranlasst haben, eine Schlussstrich unter die ganze Sache zu ziehen.
Und wisst ihr was? Ich war ein wenig erleichtert, als ich zur Vorbereitung auf diesen Text herausfand, dass ich wohl nicht der einzige war, der sich in den frühen 2000ern die Zähne an genau diesen beiden Missionen ausbiss. In etlichen Foren-Diskussionen und YouTube-Kommentaren zu Komplettlösungen fand ich andere Menschen, die dem Spiel in diesen Passagen unsaubere Programmierung vorwarfen und sich genau jene Frage stellten, die auch der 9-jährige Johannes im Kopf hatte: „Was haben sich die Entwickler dabei gedacht?“
Ein wenig fühlte sich dies an wie eine Last, die von den Schultern fiel. Grob 15 Jahre hatte ich nur mein eigenes Scheitern als Indikator, um mir die vermeintliche Unschaffbarkeit jener Missionen vor Augen führen zu können. Jetzt weiß ich immerhin, dass ich nicht alleine war. Irgendwann nach 2001 gab es wohl eine ganze Reihe anderer Kinder, Jugendlicher und sonstige Spielenden, die am Belagerungs-Quatsch von Stronghold ihre Nerven verloren haben. Auch weiß ich nun: Ja, es ist theoretisch machbar, diese Missionen abzuschließen (auch wenn bisweilen nur mit Hilfe bestimmter, beinahe schon an Exploiting erinnernder Taktiken).
Was will dieser Text nun sagen? Sicherlich hätte ich nicht so viele Zeilen über Stronghold verfasst, wenn mich das Spiel in meiner Kindheit hauptsächlich mit stark negativen Gefühlen zurückgelassen hätte. In Wahrheit fühlte sich das erneute Reinspielen nach all diesen Jahren ein wenig an wie nach Hause kommen, nach jenem typischen nostalgischen Spielgefühl, das sich mittlerweile für viele auch als elementarer Bestandteil in der Rezeption des Mediums Spiele auszeichnet.
Man muss nicht zwingend einen bestimmten Progressionspunkt überwunden oder einen ganz besonderen Kompetenzgrad im Spielen erworben haben, um in der Lage zu sein, einen Titel mit nostalgischen Emotionen zu umarmen. Manchmal reicht auch eine Erinnerung an die Inkomplettheit, an das Scheitern aus einer vergangenen Zeit, um sich all jene nun zurückliegenden aufregenden Abenteuer ins Gedächtnis zu rufen, die einem bis zu einem bestimmten Punkt begleitet haben.
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