Die Reihe „Gastgeflüster“ geht in die dritte Runde und ich bin froh, ein Teil dieser Reihe sein zu dürfen. Als ersten Beitrag wollte ich euch gern ein Stück an meiner persönlichen Geschichte teilhaben und spreche ein Thema an, das mir schon seit langer Zeit auf dem Herzen liegt: ich erzähle, warum ich lange Zeit bei Videospielen Angst vorm Scheitern hatte und was moderne Medien in Form der Let’s Plays damit zu tun haben.
Als Kind spielte ich gerne die verschiedensten Videospiele, allesamt von Nintendo. Mit circa acht Jahren sparte ich viele Monate mein kleines Taschengeld auf einen Nintendo DS und konnte glücklicher nicht sein, als der Tag kam, an dem wir zu Toys’R’us fuhren und ich mit einem rosafarbendem DS im Bundle mit Nintendogs den Laden verlassen habe. Mein Sortiment erstreckte sich über die nächsten Jahre von Animal Crossing zu Harvest Moon bis hin zu Super Mario, aus den unterschiedlichsten Genres war etwas dabei. Als Kind hatte ich natürlich keinerlei Ahnung von Videospielen und so spielte ich, was mir in die Finger fiel, ohne einen Gedanken im Voraus an Spielmechaniken etc. zu verschwenden; ausprobieren war meine Devise.
Meine Frustrationsgrenze in dem Alter war (unter anderem) durch dieses Trial & Error – Prinzip sehr hoch, denn entweder ich spielte weiter mit dem, was ich hatte, oder hatte Pech gehabt. Hier fallen mir besonders drei Spiele ein, die ich unbedingt weiterspielen wollte, obwohl ich in einigen Levels gefühlt tausende Male gestorben war und mehrere Wochen brauchte, bis das Letzte in greifbare Nähe kam: Kim Possible, Madagaskar und New Super Mario Bros DS. Mein Scheitern und sämtliche Game Over Screens waren mir damals egal, ich spielte einfach immer wieder erneut die für mich kritischen Level, bis das Spiel erfolgreich beendet war. Dieses Maß an kindlicher Begeisterung und Durchhaltevermögen verschwand jedoch schneller, als es mir rückblickend betrachtet lieb gewesen wäre.
Mit circa 13 Jahren entdeckte ich YouTube für mich und sehr schnell folgten erste Let’s Plays von Gronkh und einigen weiteren YouTubern. Diese neue Möglichkeit, Leuten beim zocken zuzuschauen (schon als Kind hatte ich gerne Freunden über die Schulter geschaut) und somit auch viele Spiele kennenzulernen, für die ich in dem Alter schlichtweg kein Geld hatte, begeisterte mich und mehr und mehr meiner Zeit verschwand auf dieser Plattform.
Doch je mehr ich schaute, desto häufiger stellte ich fest, wie wenig die Spieler in den Levels starben und wie viel besser und schneller sie Spielmechaniken erlernten und beherrschten als ich. Doch als naive Jugendliche kam mir nicht die Idee, dass das unter anderem der Tatsache geschuldet war, dass die Leute alle wesentlich älter waren als ich und somit schlichtweg viel mehr Übung hatten. In meinem kleinen Nintendo-Kosmos beherrschte ich Jump n Runs oder auch Spiele wie Mario Kart und gewann auch häufig gegen meine Kindheitsfreunde was dazu führte, dass ich Scheitern einfach nicht so richtig gewohnt war. Zudem verbrachte ich die meiste Zeit damals mit Animal Crossing oder den Sims, wo Verlieren kaum möglich war. Alle Spiele, in denen ich das Scheitern kennenlernte, ließen sich zu diesem Zeitpunkt an einer Hand abzählen und machen somit einen verschwindend geringen Teil aus.
Mit diesem ständigen Vergleichen über Jahre hinweg und der Möglichkeit, an immer mehr Videospiele zu gelangen, in denen ich auch sterben konnte, verschwand mein Spaß an diesen Spielen. Online verlor ich häufig gegen meine Mitspieler und auch bei storylastigen Singleplayer-Spielen scheiterte ich immer wieder, weil mir die Mechaniken der vielen Adventures oder Shooter bis dato unbekannt waren.
Als Jugendliche war mein Selbstwertgefühl sowieso noch nicht das Beste, sodass ich die Niederlagen einfach nicht mehr einstecken wollte, sondern die Erfolgserlebnisse und den Spaß von damals zurückerlangen wollte. Auch bei meinen inneren Vergleichen mit den YouTubern die ich schaute wollte ich für mich besser abschneiden.
Somit fing ich immer häufiger an, Let’s Plays und Walkthroughs zu schauen, bevor ich das Videospiel selbst spielte, um Passage für Passage einfach den YouTuber 1:1 zu kopieren. Für eine kurze Weile hatte ich auch wieder Spaß daran, ohne jegliche Niederlage Spielfortschritt zu bekommen. Dieses Konzept mögen viele nicht nachvollziehen können und aus heutiger Sicht würde mir das auch keinen Spaß mehr bringen, aber in meiner damaligen, sehr perfektionistisch ausgelegten Situation war es wunderbar: ich konnte bestens vorbereitet einen Bosskampf bestreiten, fand immer „automatisch“ den richtigen Weg und alle Zwischenkämpfe waren mir bekannt, sodass ich nie verlor. Das gab mir ironischerweise das nötige Selbstvertrauen, Dinge schaffen zu können, das ich ohne diese Art von Hilfe nie hatte. Die Tatsache, dass keine Eigenleistung vorhanden war, blendete ich aus.
Doch nach und nach mit den Jahren merkte ich, wie mein Interesse an Videospielen sank. Von Natur aus bin ich ein sehr analytisch denkender Mensch und hinterfrage mich und fast all meine Handlungen, auch um mich zu verbessern. Nach einigen Monaten der Videospielabstinenz, das war mit circa 18 Jahren, hinterfragte ich also, wie es zu einer solchen Entwicklung kommen konnte und warum mich auch von der Presse hochgelobte Spiele nicht mehr begeistern konnte.
Irgendwann fiel mir dann auf, dass es schlichtweg daran lag, dass mir das Spiel auf diese Art zu einfach war und ich nicht mehr überrascht werden konnte. In diesem Alter war mein Selbstvertrauen gestärkt, ich suchte auch im wahren Leben immer wieder neue Herausforderungen und freute mich, wenn ich sie gemeistert hatte. Da lag es nah, dass ich Videospiele nun zu einem anderen Zweck spielen würde, als noch fünf Jahre zuvor: ich brauche nicht den direkten Erfolg, sondern die Herausforderung mit anschließendem Sieg.
So versuchte ich mich dann erstmals seit vielen Jahren an einem Videospiel, zu dem ich zuvor nicht einen Gameplay-Schnipsel gesehen hatte und ließ mich voll darauf ein: The Legend of Zelda: Twilight Princess. Grob war mir klar, was ich zu erwarten hatte, da mir der ein oder andere Teil schon vorher in die Hände fiel; fast schon ein wenig ängstlich war ich zu Beginn trotzdem noch.
Anfangs war es auch sehr ungewohnt für mich, nicht auf Anhieb jede Quest oder jedes Rätsel lösen zu können und auch manche Dungeons waren hart für mich. Aber als ich den Endscreen vor Augen hatte war ich stolz auf mich und hatte letztlich so meinen Spaß an Videospielen wiedergefunden. Das führte auch dazu, dass ich einen ganzen Berg Spiele, die ich auf meine seltsame Art abgeschlossen hatte, nach und nach wieder erneut erleben wollte und auch die vielen ausgelassenen Titel anhäufte, um sie irgendwann so zu erleben, wie sie eigentlich gedacht waren; an meinem Pile of Shame arbeite ich bis heute.
Eine wichtige Sache habe ich in den letzten Jahren, in denen ich wieder intensiv Videospiele konsumiere, gelernt: scheitern ist immens wichtig und muss sich nicht immer schlecht anfühlen. Klar, manchmal werfe ich frustriert meinen Controller weg und wenn ich stundenlang nicht weiterkomme, werden Komplettlösungen nach einer Idee für das ganz akute Problem durchforstet. Aber wenn ich heute verliere, wird erst mein Ehrgeiz geweckt und ich versuche, das Problem ganz allein zu lösen. Das ist eine wichtige Erfahrung, die mich in allen Lebensbereichen voranbringt.
Außerdem kann ich leichter Fehler zulassen und habe gelernt, wie man aus Ihnen lernen sollte, um sie sich zu Nutzen zu machen, statt sich von Ihnen runterziehen zu lassen. Und zu guter Letzt: es ist nicht schlimm, wenn Menschen Dinge besser können als man selbst; mit der nötigen Arbeit kann man fast alles schaffen und Erfahrungen machen das Leben leichter.
Ich hoffe, dass euch dieser kleine Exkurs in meine Vergangenheit interessiert hat und würde mich freuen, von euren Erfahrungen mit dem Thema „Scheitern“ zu hören.
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