2018 ist das Jahr der Alien Boyfriends. Netflix hat einen, Guillermo del Toro hat einen und Star Trek versucht es neuerdings mit Klingonen. Doch weder Netflix noch Guillermo del Toro haben das Rad neu erfunden.
Als unangefochtener Champion dieser Art gilt das kanadische Entwicklerstudio BioWare. 2007 erschien ihr erster Alien-Dating-Simulator aka der erste Teil der Mass Effect Trilogie. Als Commander Shepard (je nach Wahl männlich oder weiblich, gut oder böse) bewegt ihr euch durch ein Universum, in der die Menschen nicht mehr alleine sind. Asari, Turianer, Quarianer, Salarianer, Drells und noch viele mehr tummeln sich nun ebenfalls auf der Milchstraße und gestalten diese zu einem Ort der verschiedensten Kulturen, aber auch Konflikten und Vorurteilen. Als Shepard hat man die Wahl: befeuert man die Vorurteile und Konflikte oder tritt man für die einzelnen Spezies ein. Einer dieser Aliens, die man für sich begeistern kann, ist der Turianer Garrus Vakarian, Fanliebling der Mass Effect Trilogie und der Archetyp aller Alien Boyfriends.
Ich stelle die steile These auf, das Bioware zunächst gar nichts vom Erfolg seines Vogel-Reptilien-ähnlichen Alien ahnte, denn im ersten Teil der Trilogie ist es noch nicht möglich zwischen Shepard und Garrus eine Romanze in die Wege zu leiten. Der Turianer tritt stattdessen als klassischer Side-Kick auf. Als Sniper hält er im Spiel Shepard den Rücken frei. An Bord der Normandy kümmert er sich um die Waffensysteme des Raumschiffs. Als Turianer ermöglicht er den Spieler eine einzigartige Perspektive in die, für den Menschen fremd anmutende, Selbstaufopferungskultur seiner eigenen Spezies. Die Gemeinschaft steht vor dem Individuum. Disziplin, Ehre und das Allgemeinwohl sind die Stützen der autokratischen Gesellschaft der Turianer. Im Mittelpunkt steht dabei das Militär, das bei den Turianer mehr eine gesellschaftsübergreifende Organisation darstellt, die alle Belange des Volkes nachgeht. Diese „turianische Ehre“ – ein oft zitierte Beschreibung anderer Spezies über die Turianer – führt dazu, dass die Turianer im Allgemeinen oft als die Schutzherren der Milchstraße charakterisiert werden. Inmitten dieser starren Kultur, ohne Freiraum zur Selbstentfaltung, lebt Garrus mit seinen ganz eigenen Konflikten. Im Comic Homeworld erfährt man das Garrus größtenteils vom Vater aufgezogen wurde, einen strengen, aber vernünftig denkenden Citadel-Sicherheitsoffizier. Generell gibt es innerhalb der Mass Effect Trilogie nur wenige Informationen zu den weibliche Turianer. BioWare korrigierte diese Tatsache später mit Mass Effect: Andromeda. Über Garrus Mutter und seine Schwester ist deshalb so gut wie nichts bekannt. Die oberste Regel im Vakarian Clan lautet und wird Garrus vom eigenen Vater wie ein Mantra eingeflößt: niemals aufgeben! Danach erhält Garrus die Möglichkeit als Spectre ausgebildet wird, die höchste Ehre in der militärischen Gesellschaft der Turianer. Garrus wird jedoch aufgrund eines Konfliktes zwischen ihm und Saren, dem Antagonisten des ersten Mass Effect Teils, abgelehnt und durchläuft daraufhin die klassische Laufbahn des Citadel-Sicherheitspersonal.
Garrus: “I’m Garrus Vakarian and this is my favourite spot on the citadel!” – Mass Effect 3
Dies bildet die Basis auf der Garrus Charakterentwicklung im Verlauf der Trilogie fußt. Im ersten Teil der Trilogie hat man es oft noch mit einen sehr unsicheren Garrus zu tun, der nach einem Ziel im Leben sucht. Völlig unglücklich innerhalb des langweiligen Alltags eines C-Sicherheitsoffiziers, wird Garrus mit Shepard ein richtiges Abenteuer angeboten. In Mass Effect 2 entscheidet sich Garrus deswegen dagegen erneut in die C-Sicherheit zurück zu kehren und gründet seine eigene Söldnertruppe zur Bekämpfung der hohen Kriminalitätsrate auf dem Planeten Omega. Sein wahnsinnig großer Gerechtigkeitssinn treibt ihn dazu alles richtig machen zu wollen. Er bezeichnet sich selbst als Archangel, der über das Böse auf Omega richtet. Durch sein persönliches Interesse wird Garrus damit auch gleichzeitig ein Ausgestoßener, da er nicht mehr nach den Spielregeln der turianischen Gesellschaft handelt. Nachdem er von den eigenen Söldnern verraten wird, muss er erneut durch Commander Shepard lernen für die eigenen Ziele, Wünsche und Hoffnungen zu kämpfen. Im dritten Teil der Trilogie trifft man Garrus erneut auf seinem Heimatplaneten. Der einst unsicheren, stets suchenden Turianer scheint sich gefunden zu haben. Die Rache und die Gerechtigkeit, die ihm im zweiten Teil antreiben, sind nun großer Verantwortungsbereitschaft und Reife gewichen. Garrus befehligt nun als „Reaper-Spezialist“ (die wirklichen Antagonisten der ganzen Reihe) große Truppen der Turianer und dient der Elite als Berater. Seine persönlichen Überzeugungen ließen sich nun endlich nach einem langen Findungsweg mit der eigenen Kultur, die bei den Turianer weder verzeiht noch viele Perspektiven bietet, verbinden. Er schafft dabei den Sprung zwischen „Ich muss mich für die Gesellschaft opfern“ und „Ich verliere mich nicht selbst“.
Joker: “It seems like Garrus has finally worked that stick out of his butt, but now he’s trying to beat guys to death with it.” – Mass Effect 2
Einen ähnlichen Rhythmus besitzt auch die Romanze zwischen Commander Shepard und Garrus. Während die Beziehung der Beiden im zweiten Teil mehr einer Flirterei ist, die schließlich in einen One-Night-Stand enden kann, hat man als Spieler im Mass Effect 3 die Möglichkeit die Beziehung zwischen den Beiden zu vertiefen. Garrus verschwindet dabei nicht im Schatten von Shepard oder versucht gar sie (Die Shepard-Garrus-Romanze ist nur mit einen weiblichen Commander möglich) in seinem Schatten zu verdrängen. In der drohenden Apokalypse geben sich beide Halt ohne sich selbst zu verlieren. Traurige Stellen, in denen man frühere Crewmitglieder verliert, werden im Kontrast zu Szenen gestellt, in denen Beiden den klassischen Weg einer Beziehung gehen. Auch mit niedlichen Datingmomenten! Ein Kommentar unter einem Garrus Vakarian Video auf Youtube beschreibt Garrus Charakterentwicklung am besten:
„The change in Garrus is one of the best stories in gaming history. He has changed from
ME1: clueless but badass
ME2: unapologetic badass
ME3: really caring… But still badass“ – Charlie Woodward, YouTube
Ich selbst sträube mich etwas gegen die Beschreibung „badass“ im Zusammenhang mit Garrus, da einem gleich sofort das Badboy-Klischee vor Augen erscheint. Dabei erfüllt der Turianer keiner dieser Bedingungen. Seine Unsicherheit und das oft mangelnde Selbstbewusstsein sorgt mehr für schreiend lustige Dialoge auf der Normandy. So schlägt Garrus selbst vor den Geschlechtsakt zwischen Turianer und Mensch zu recherchieren und stößt dabei auf fragwürdige Pornos, die die KI auf dem Schiff in Alarmzustand versetzt. Der harmlose Akt der Kalibration von wichtigen Systemen auf dem Schiff, hätte vermutlich ohne die schnorrende, tiefe Stimme von Garrus nicht solchen Kultstatus und Zweideutigkeit erlangt, wie es jetzt der Fall ist. Dahingehend ist der Turianer wirklich ein spannender Charakter, der trotz seines fiktiven Daseins aufgrund von Konflikten, Eigenheiten und spürbaren Entwicklungen so lebendig wirkt. Wer BioWare Spiele kennt, weiß das Spielmechaniken hier erstmal zweitrangig sind. Entweder bricht einem die Story das Herz oder Personen aus den eigenen Reihen (I see you, Solas!). In Mass Effect ist es aber tatsächlich die Story. Die liebenswürdigen, sehr lebendigen Charaktere päppeln den Spieler dann wieder auf… bis zur nächsten niederträchtigen Wendung.
Auf die Frage wieso Garrus der Archetyp eines Alien Boyfriends ist und mein, aber auch das Fan-Herz anderer höher schlagen lässt, mag vielleicht an diesen wundervoll, komplexen, etwas unsicheren, sich selbst findenden Charakter liegen… Oder es ist einfach dieses verdammte Katzenschnurren an Stimme.
Shepard: Is that supposed to melt a girl’s heart?
Garrus: No … but this voice is *leans in closer*. I’m Garrus Vakarian. Codename: Archangel. All-around turian bad boy and dispenser of justice in an unjust galaxy. I also kill reapers on the side. And you are? – Mass Effect 3: Citadel DLC
3 Comments
Lilly
15. August 2020 at 14:03Ich kam endlich auch dazu, die Mass Effect Reihe zu spielen.. Ich liebe Dragon Age, bin allerdings kein Sci-Fi Fan (gewesen…).
Vor allem Garrus (MY BOOOY) hat dazu beigetragen. Ich hab mich im ersten Teil extra für ihn aufgespart, um dann enttäuscht zu lesen, dass eine Romanze nicht möglich ist…
Im zweiten Teil ging es dann richtig los… Und es war das schönste Spielerlebnis seit langem. Ach, mein Herz *schmelz*.
Super gut den Charakter her geschrieben. Das Wort “Badass” würde ich auch nicht nehmen wollen, um ihn zu beschreiben.. was ja auch nicht mal annähernd geht… außer “PERFEKT”.
Ich weiß gar nicht, wie man sich nicht in ihn verlieben kann…
So, Fangirlmodus aus..
Hat Spaß gemacht, deinen Artikel zu lesen.. Und es ist eine schöne Figur da auf dem Bild!
Jana Mil
2. Juni 2018 at 10:46Vielen Dank! Tatsächlich betrachte ich beide Reihen getrennt voneinander, trotz des gleichen Entwicklerstudios und Mitarbeiter, die an beiden Spielreihen aktiv mitgearbeitet haben. Ich müsste sonst fast alle Bioware Figuren auf das gleiche Podest stellen, weil ich sie alle aufgrund ihrer Komplexität schätze
Gerade auch im Hinblick auf Figuren wie Solas, Dorian oder Charakteren aus der Andromeda-Galaxie wie Vetra oder Jaal.
Cassandra ist aber in Dragon Age auch eines meiner liebsten Charaktere, gerade weil ich ihre Macke mit den romantischen Büchern wirklich schätze xD Der Trespasser Abspann ist einer meiner liebsten in Videospielen. Keiner kann so nett fangirlen wie Cassandra.
Christian
2. Juni 2018 at 10:31Sehr gute Ausführung der verschiedenen Aspekte dieser komplexen Charakters und seine Entwicklung der 3 Spiele sowie DLCs. Mein Lieblingscharakter ist allerdings Cassandra (DA:I), auch Garrus tatsächlich der stärkste Nebencharaktere der Mass Effect-Serie ist.