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Nimona: SCIENCE! SHARKS! DRAGONS!

13. Juni 2016
Nimona Gastpost

“Oh! What’s that? Does it kill people? Can I try it?”
– Nimona in “Nimona”

Nimona ist nicht bloß ein Mädchen – sie ist ein Hai. Und ein Drache. Eine Katze. Aber vor allem immer wieder Chaos. Die Gestaltwandlerin ist die Anti-Heldin des gleichnamigen Comics von Noelle Stevenson (24), deren Arbeit vielen vom Cover von Rainbow Rowells „Fangirl“ bekannt sein dürfte. Die Geschichte der fast glatzköpfigen, etwas mordlustigen und eigensinnigen Nimona nahm seinen Anfang im Jahre 2012 als Webcomic. Die ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem weiteren Hauptcharakter Lord Ballister Blackheart und Nimona fand schnell Fans – und schaffte noch schneller den Sprung ins Verlagswesen zu HarperCollins. Es folgten diverse Auszeichnungen und Nominierungen, sowie der Einzug ins Finale der „National Book Awards“.

SCIENCE! SHARKS! DRAGONS!

Lord Blackheart ist kein Bösewicht aus Überzeugung. Einst zum Helden ausgebildet, wurde er nach einem Unfall, der ihn seinen Arm kostete, als Retter „ausgemustert“ und bloß dadurch zum Feind der „Institution of Law Enforcement and Heroic“, die alle Helden ausbildet und beschäftigt. Nun hat er nicht bloß Nimona am Bein, sondern auch bereits länger seinen ehemaligen besten Freund /Liebhaber Sir Ambrosius Goldenloin als persönliche „Nemesis“ – denn Goldenloins Verrat war es, der zum Unfall und zur Ausmusterung führte. Ebenso wie Blackheart wurde auch Goldenloin zum Helden ausgebildet, macht Blackhearts Pläne eben aus beruflichen Gründen immer wieder zunichte und ist der Liebling aller im Reich.
Das Gleichgewicht zwischen den verfeindeten Parteien ist empfindlich und Blackheart hat sich selbst Regeln auferlegt – eine davon lautet, niemanden für seine Pläne zu töten. Doch Nimona wirbelt in sein Leben, weil sie seine böse Machenschaften vergöttert und dann feststellt, dass ihr „Lieblingsbösewicht“ gar nicht so böse ist, wie sie dachte. Blackheart seinerseits muss lernen, dass das Mädchen weitaus grausamer ist, als es den Anschein haben mag. Die ersten Menschen sterben ganz ungeplant und dann stolpern sie über eine Verschwörung, die das System von „Gut gegen Böse“ zu kippen droht. Blackheart setzt sich jedoch in den Kopf, genau das zu tun.

Die Charaktere in „Nimona“ sind unglaublich liebenswert, obwohl eine tiefergehende, vielschichtige Charakterisierung wie in Comicserien hier gar nicht in einem Einzelband schaffbar ist. „Nimona“ holt das aber durch witzige Dialoge und straffes Storytelling wieder heraus. Keine Sekunde langweilt man sich in dieser recht eigenwilligen Welt, die eine Mischung aus Mittelalter, Science Fiction und Fantasy zu sein scheint. Computer und Ritterrüstungen, Laserwaffen und Drachen führen eine eigenwillige Koexistenz, aber so unaufdringlich und harmonisch, dass man sich zu keiner Sekunde fragt warum, wieso oder weshalb.
Die Zeichnungen sind für manche gewöhnungsbedürftig. Ich persönlich lese sonst meist Comics/Graphic Novels mit naturalistischerem Charakterdesign, derartig vereinfachte Figuren wie in „Nimona“ (ähnlich auch in „Lumberjanes“) kenne ich sonst nur von Einzelillustrationen und kurzen Comicstrips. Letzteres legt eine Kurzweiligkeit nahe, die mich anfangs bewogen hatte, den Webcomic zu lesen. Gerade auf den ersten Seiten haben wir, typisch für kleine Comicstrips, viele Panels in der gleichen Größe, die nicht einmal durch Sprechblasen oder Sonstiges durchbrochen werden, also recht statisch wirken. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen – mit steigender Kapitelnummer weitet Stevenson die Zahl und das Seitenverhältnis der Panels aus und damit auch den visuellen Spielraum in Sachen Dramaturgie. Das heißt, es wird zunehmend Einfluss auf Lesefluss und die Betonung der Panelinhalte genommen, alles wird, wichtig gerade angesichts eines immens zerstörerischen Finales, zusehends epischer und cineastischer, ohne jemals seine „stripartigen“ Wurzeln komplett zu verleugnen.

„Distress“ ohne „damsel“

Besonders hervorheben möchte ich das, was mich einst dazu bewogen hatte, den Webcomic immer weiter zu lesen und „Nimona“ schlussendlich als Hardcover zu bestellen: Nimona selbst. In der Vergangenheit habe ich mich häufig mit weiblichen Hauptcharakteren in Filmen, Serien und Büchern auseinander gesetzt – als Recherche zu meinem eigenen Buch, aber vor allem aus persönlichem Interesse. Nimona-Schöpferin Noelle Stevenson sei hier einmal zitiert, weil sie einen Kernpunkt der Auseinandersetzung mit weiblichen Figuren und Nimonas Wesen benennt:

„I want to figure out […] why a male character could be celebrated for negative traits while a [female character] is crucified for those same traits […].“
Noelle Stevenson in “‘Nimona’ Shifts Shape And Takes Names — In Sensible Armor, Of Course” für npr books”

Die Antwort auf diese Frage ist wohl so individuell, wie Rezeption eines Buches, Filmes oder eben Comics an sich. Dass Nimona aber eben nicht gängigen weiblichen Klischees entspricht, lässt sich relativ leicht ersehen:
Nimona ist keine „damsel“, aber immer in „distress“ und das übrigens auch gerade die, die ihr begegnen. Entgegen vieler Klischees/Tropes flüchtet sie nicht vor Ärger, sondern provoziert ihn willentlich und das zu ihrer eigenen Unterhaltung und Belustigung. Sie ist also nicht „tough“ im Sinne von „klug und kalt“ (wie etwa eine Black Widow herüberkommt), sondern viel mehr „stark“ im Sinne von „weiß, was sie will“, gepaart mit einer fast schon unvernünftigen Sturheit. Gleichzeitig hat sie schwache Momente, in denen es ihr ungeheuer schwer fällt zu zeigen, dass etwas sie bei all ihrer Stärke belasten kann. Ihre äußere Erscheinung, ihre normale Menschenform zumindest, entspricht ebenfalls nicht den üblichen Vorstellungen einer Anti-Heldin (eine Catwoman oder Mystique hat ja eher den Stereotyp von „sexy“ gebucht): Nimona ist klein, rundlich, mit kleinen Brüsten, kurzen, „stummeligen“ Beinen und einem fast komplett rasiertem Kopf, auf dem noch ein paar orangerote Haare an der Stirn stehen geblieben sind und hat einige Piercings im Gesicht.

„…I felt that I wanted to do a costume [for Nimona] that [cosplay] people who weren’t interested in looking particularly buxom or sensual might want to dress as. You know, [Nimona is] stocky, and she wears pink but is still very kind of butch … I just wanted to see a character that I haven’t necessarily seen before, especially as the protagonist.“
Noelle Stevenson in “‘Nimona’ Shifts Shape And Takes Names — In Sensible Armor, Of Course” für npr books”

Wenn Stevenson schreibt, dass es ihr (im übertragenen Sinn) darum gegangen sei, Leute anzusprechen, die eben nicht ausschließlich an „üppiger Sexiness“ interessiert sind, unterstreicht sie das mit dem, wie Nimona sich gibt. Sie ist eine Rebellin ohne wirklichen Heldenanteil, deswegen aber übrigens keinesfalls nicht liebenswert. Das entdeckt man vornehmlich durch ihre Begeisterung, die sie gerne offenherzig nach außen trägt, aber auch durch das Kind in ihr, das neben Verspieltheit auch eine sehr verletzliche und tatsächlich verletzte Seite zeigt. Aber am besten, ihr findet selber heraus, was genau ich damit meine 🙂

„Nimona“ lesen

Einen ersten Leseeindruck könnt ihr auf Stevensons Webseite erhalten, wo man noch die ersten drei Kapitel von „Nimona“ lesen kann. Die Seiten wurden zwar für die Veröffentlichung bei HarperCollins überarbeitet, aber hauptsächlich in Sachen Outlining und Kolorierung.
Auf Amazon schwankt der Preis zwischen 4,44€ (E-Book), sowie von rund 10€ (Taschenbuch) bis rund 17€ (Hardcover). Aufgrund der einfachen Gestaltung/Kolorierung würde ich keinesfalls vom Comic in digitaler Form abraten, sofern der Reader Farbe darstellen kann. Taschenbuch und Hardcover haben dasselbe Format, das ich mir einen Tick größer gewünscht hätte, aber dennoch gut funktioniert. Da die Panels nicht sehr groß sind, und die Schrift durchaus klein wirken kann, rate ich euch zum Hardcover, das sogar im Schutzumschlag kommt, um unschöne Brüche des Buchrückens zu vermeiden.

Dieser Text stammt aus der Feder von Steffi von Fieberherz, einem wunderbaren Blog, auf dem sie normalerweise viel über das Schreiben, aber auch über Fotografie und Gestaltung schreibt.

 

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    Über mich und diesen Blog

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    Aurelia Brandenburg - Historikerin und Bloggerin. Ich beschäftige mich meisten mit Mittelalter, Digital Humanities und Game Studies, nicht zwingend immer in dieser Reihenfolge. Auf Geekgeflüster schreibe ich seit 2012 über Popkultur, inzwischen oft aus einer feministischen Perspektive und manchmal auch über Popkultur und Geschichte, insbesondere Popkultur und Mittelalterrezeption. Außerdem schreibe ich auch für Language at Play. Auf Twitter findet man mich als @hekabeohnename.


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