Hörbuch Kritiken

Die Auswahl (Cassia & Ky 1): Die gesamte Welt dreht sich um Ky

2. August 2015

Cassia & Ky 978-3-8398-4009-2
Als Cassia erfährt, dass ausgerechnet ihr bester Freund Xander der für sie von der Regierung ausgesuchte Mann fürs Leben ist, kann sie zunächst ihr Glück kaum fassen. Doch dann taucht auf dem Microchip mit den Informationen über ihren angeblich idealen Partner kurz ein anderes Gesicht auf, das ihr ebenfalls vertraut ist. Ky, den sie ebenfalls schon seit ihrer Kindheit kennt, der aber von der Gesellschaft niemals gepaart werden wird, da er eine Anomalie ist. Die Vertreter der Regierung erklären Cassia, dass es nur einen technischen Defekt gegeben hätte, aber das Mädchen ist bereits misstrauisch geworden. Kann es sein, dass das System irrt und Xander am Ende doch nicht der perfekte Partner für sie ist?

Fangen wir mit den positiven Dingen an: Ich habe “Die Auswahl” als Hörbuch gehört und was eindeutig sehr gut zur Protagonistin und Geschichte gepasst hat, war die Sprecherin: Josefine Preuß. Ihre Stimme ist angenehm, aber zugleich liest sie in einen wie ich finde zur Protagonistin Cassia sehr treffenden Tonfall, der die Figur auch noch einmal klanglich zum Leben erweckt. Vielleicht sogar etwas zu sehr, aber zu Cassia komme ich gleich noch.

Denn ab da schwinden die positiven Punkte sehr schnell. Grundsätzlich finde ich das Setting einer komplett durchstrukturierten und perfekten Welt, in der es nur das System und nichts sonst gibt, recht interessant, aber damit hat die Autorin natürlich das Rad auch nicht neu erfunden. (Das hat schon Orwell vor ihr gemacht, auch wenn das natürlich nicht zwingend bedeutet, dass man so ein Setting nicht wiederholen kann.)

Auch gefällt mir die Idee, dass Cassia eigentlich eine systemtreue Bürgerin ist, die kritisches Denken erst langsam erlernen muss, und auch die Art und Weise, wie die Funktionäre die Menschen vom System der Gesellschaft abhängig gemacht haben, ist immer wieder auf interessante Weise in die Geschichte eingewoben, z.B. indem Cassia darüber nachdenkt, dass es niemanden mehr gibt, der gleichzeitig Nahrung anbauen, ernten und verarbeiten kann.

Aber damit sind wir schon beim eigentlichen Problem der Geschichte: Solche Beschreibungen sind tendenziell Randerscheinungen, der eigentliche Fokus liegt auf den Figuren und ihren Beziehungen. Das ist ja eigentlich auch nichts Schlechtes, ganz im Gegenteil, wenn diese Figuren – allen vorneweg die Protagonistin Cassia selbst – nicht so unglaublich anstrengend wären. Denn Cassia ist durch und durch ein Teenager, noch dazu einer, der noch mehr Kind als Erwachsener ist. Sie ist fürchterlich naiv und der einzige Punkt, der diese Naivität innerhalb der Geschichte ein wenig auflöst, ist – wie könnte es anders sein – das Objekt ihrer Begierde, Ky. Dabei hätten in diesem Punkt auch die Figuren um sie herum sehr viel mehr Potential gehabt, vor allem Cassias Großvater, von dem ich den Eindruck eines heimlichen Systemkritiker, wenn nicht sogar Gegner, hatte. Aber Großväter sind keine sexy Teenagerjungs, die durch ihre bloße Existenz natürlich die gesamte Welt verändern. Denn warum sonst sollte man beginnen, seine Umgebung zu hinterfragen, wenn nicht aufgrund eines Hormonrausches?

Denn für Cassia gibt es sehr bald nur noch ein Zentrum des Universums: Ky. Seine Augen, deren Farbe sie sich so schwer tut zu bestimmen, was mir offen gestanden unglaublich auf den Geist ging, seine Hände, seine tragische Hintergrundgeschichte, kurz: Die schlichte Tatsache, dass er ein ausgestoßener Einzelgänger ist, den sie am liebsten retten möchte. Auch das ist theoretisch eigentlich nicht so “wild” und ein Stück weit einfach als die erste große Liebe abzutun, die Cassia da eben geradezu umwirft.

Allerdings macht diese extreme Fixierung auf Ky den langsam fortschreitenden Wandel in Cassias Gesinnung so unglaubwürdig. Denn ich hatte die ganze Zeit mehr das Gefühl, dass sie sich nicht von der Gesellschaft ab, sondern Ky zuwendet, was aber innerhalb der Geschichte wie ein und dasselbe behandelt wird. Cassias gesamte “Rebellion” hängt an ihrer beginnenden Liebe zu Ky, sie scheint keine rein eigene Motivation zu haben. Das ist schade, denn mit dieser zweiten Ebene der Entwicklung hätte die Figur nur gewinnen können. So waren mir am Ende die Funktionäre fast sympathischer als die Protagonistin.

Ähnliches gilt für mich für Ky, der zwar mit seinem tragischen Hintergrund bessere Motivationen verpasst bekommt, aber auch hier hatte ich ständig das Gefühl, dass er jetzt einfach einen tragischen Hintergrund haben muss, weil das das Genre “verlangt” und der Typus des gepeinigten Außenseiters als Love Interest sich nun einmal gut verkauft. Groß, mysteriös und einsam. Achso, und natürlich irgendwie gefährlich für die Protagonistin. Ist ja klar. Dass das Ende der Geschichte sehr vorhersehbar ist und den üblichen “Regeln” des Dystopie-Genres folgt, stört mich dabei gar nicht so sehr, schließlich kann auch der Weg das Ziel sein, aber der Weg wird und wird einfach nicht interessant, vor allem aufgrund der so eindimensionalen Hauptfigur, die in mir immer wieder den Drang geweckt hat, sie an die nächstbeste Wand zu klatschen.

Unterm Strich würde ich “Die Auswahl” einfach auf den Stapel der Bücher legen, für die ich wohl inzwischen einfach zu alt bzw. aus deren Zielgruppe ich offenbar entwachsen bin. Dort, wo die “Bis(s)”-Bücher, die ich als Dreizehnjährige geliebt habe, gemeinsam mit noch ein paar anderen Büchern dieses Kalibers verstauben. Für eine jüngere Zielgruppe mit einem Hang zu Romantasy u.ä. Genres mag “Cassia und Ky” eine Reihe sein, die Spaß macht, ich persönlich werde aber Teil 2 und 3 wohl eher weniger anrühren.

“Die Auswahl (Cassia & Ky 1)” (Hörbuch) auf der Verlagswebsite.

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    Aurelia Brandenburg - Historikerin und Bloggerin. Ich beschäftige mich meisten mit Mittelalter, Digital Humanities und Game Studies, nicht zwingend immer in dieser Reihenfolge. Auf Geekgeflüster schreibe ich seit 2012 über Popkultur, inzwischen oft aus einer feministischen Perspektive und manchmal auch über Popkultur und Geschichte, insbesondere Popkultur und Mittelalterrezeption. Außerdem schreibe ich auch für Language at Play. Auf Twitter findet man mich als @hekabeohnename.


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