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Sundown (Hamburg Rain 2084): Viel Potential verschenkt

13. November 2015

Sundown Hamburg Rain 2084
Hamburg 2084: Die Stadt ist im Regen und Meer praktisch versunken. Aus einer einzelnen Stadt ist ein kompliziertes Ebenensystem mit 22 Millionen Bewohnern geworden, in dem sich das Leben seiner Gesellschaft klaren Hierarchien unterwirft. Oben schwelgen die Reichen im Prunk, unten verrotten die Armen zwischen Gangs und Müll. 42 Ebenen unter dem Meeresspiegel hat Daira sich ihr eigenes, kleines und fragiles Leben aufgebaut. Zwar ist sie von Polizei wie Gangs gesucht, aber so lange sie den Kopf unten behält, ist alles mehr oder weniger in Ordnung. Sie lebt in einem der wenigen weißen Flecken auf Hamburgs Stadtplan und wähnt sich halbwegs sicher, zumal sie mit ihren Tarnmodulen, mit denen man die Beschränkungen der Ebenen umgehen kann, ein ganz gutes Geschäft macht.

Nur dann mischen sich das berüchtigte Syndikat und Dairas Ex Milan wieder in ihr Leben ein: Ein ungeheurer Auftrag, mit dem sie alles gewinnen, aber auch alles verlieren könnte.
Zu allererst einmal: Ich mag das Hamburg Rain-Projekt. Ich finde das dahinter stehende Dystopie-Konzept interessant, weil es so offen und damit nicht so leicht vorhersehbar ist wie viele andere Dystopien, die ich sonst so lese. Das liegt sicher daran, dass aus dem Setting ja insgesamt 7 (inklusive des Prequels) Geschichten gesponnen werden sollten. Außerdem mag ich es, dass beim Weltenbau auch technisch gesehen eine Menge aus den Möglichkeiten des Genres rausgeholt wurde. Dairas Tarnmodule, die Dazzles, sind da nur ein Beispiel von vielen, wie ganz eigene technische Entwicklungen und Möglichkeiten dem Leser präsentiert werden und so die gesamte Welt der Hamburgs von 2084 lebendig und spannend machen.

“Sundown” ist dabei formal gesehen das zweite eSerial der Staffel, allerdings habe ich mir vom Verlag sagen lassen, dass die Reihenfolge keine unglaubliche Rolle spielt, weil die Storys voneinander unabhängig sind und das Gesamtbild das ist, was zählt, etwas, das ich bisher nach dem Prequel und “Sundown” erstmal nur bestätigen kann. Zusätzlich will ich an dieser Stelle noch einmal kurz das Thema der vom Verlag angekündigte und beworbene App zur den “Hamburg Rain 2084”-eSerials anreißen: Denn auch wenn ich die Idee sehr cool finde, nicht nur linear und traditionell Bücher bzw. eBooks zu vermarkten und mir auch aus diesem Grund das Konzept einer ganzen Staffel aus eSerials gefällt, ist mir die App eher unnötig aufgefallen. Darin werden im Grunde nur die einzelnen eSerials zum Verkauf bzw. mit dem Klappentext verlinkt, es gibt ein paar Infos zu den Autoren und unter dem Punkt “Zusatzfeatures” ist eine Verlinkung zum Buchtrailer und einer Aufstellung, welche der eSerials wann auf welchen Ebenen spielen. Das ist alles ganz nett, aber angesichts der Tatsache, dass ich für das meiste nur auf Websites verwiesen werde, habe ich mich so ein bisschen gefragt, was ich von der App jetzt eigentlich haben sollte. Gerade weil ich die wirklich interessanten Infos (nämlich die zu den anderen Bänden) sehr viel leichter z.B. auf der Verlagswebsite nachgucken könnte, aber gut. Schließlich braucht man das Programm ja nicht, um die eigentlichen Bücher lesen zu können.

Unabhängig davon gefällt mir „Sundown“ von Heike Wahrheit. Das liegt in allererster Linie an Daira, ihrer Heldin. Sie ist ruppig, impulsiv, hat sehr viele Kanten und ist gerne auch mal aggressiv. Gleichzeitig ist sie aber auch nie übertrieben oder unglaubwürdig. Ihr Verhalten passt zu ihr, es fügt sich in ihre Figur super ein. Daira ist die große Stärke des Buchs, gemeinsam mit dem hier (jedenfalls im Vergleich zum Prequel) ganz besonders ausgebauten Technikfaktor, der bei der Protagonistin natürlich ebenfalls nur Sinn macht. Sie kennt sich mit Tarnmodulen und vielen anderen aus, was sonst noch so in ihrer Welt an technischen Geräten herumschwirrt. Das schöne: Dadurch hat die Geschichte für mich an diesen Stellen nochmal ein bisschen an Tiefe gewonnen. Gerade weil man merkt, dass die Autorin ihre Protagonistin, deren Vergangenheit und deren nähere Umgebung gut kennt.

Was dagegen eher schmal ausfällt, sind die Erklärungen und Beschreibungen: Figuren, die auf und abgehen, dabei aber wie Geister bleiben, weil sie so gut wie nicht näher beschrieben werden und sich nur durch ihr Verhalten charakterisieren, Phänomene und technische Gegenstände, die mir als Leser einfach nur vorgesetzt und dann nie direkt erläutert werden, usw. Von Dairas „Vindo“, das eng mit ihren aggressiven Impulsen und ihrem Krach mit dem Syndikat verbunden ist, hatte ich zum Beispiel sehr lange gar keine bis nur eine sehr vage Vorstellung. Das ist schade, denn mit dieser Verwirrung, die diese Dinge manchmal stiften, verschenkt die Autorin einiges an Möglichkeiten, Dairas Welt endgültig zum Leben zu erwecken. Zumal die eigentliche Handlung auch nicht gerade umwerfend, sondern mehr durchschnittlich ist.

Diese Dinge sind nicht unglaublich schlimm bzw. kann man darüber hinweg sehen und immer noch Spaß an „Sundown“ haben, wenn man denn Dystopien mag und genug hat von dem Dreiecksbeziehungsklischee vieler YA-Romane, gleichzeitig sind sie aber auch schade, weil damit ein eigentlich ganz gutes Buch viel Potential verschenkt hat, das es zu einem sehr guten Buch hätte machen können.

Unterm Strich gefällt mir aber wie gesagt „Sundown“ trotzdem. Es ist nicht perfekt, aber auf jeden Fall eine gelungene Abwechslung zu dem, was sonst so an Dystopien auf dem Markt ist. Und immerhin hält die Story das, was sie verspircht: Eine ganz spannende und kurzweilige Unterhaltung. Und das übliche überkitischige Geheule, das mich z.B. bei “Rette mich vor dir” gestört hat, bleibt einem erspart.

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    Über mich und diesen Blog

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    Aurelia Brandenburg - Historikerin und Bloggerin. Ich beschäftige mich meisten mit Mittelalter, Digital Humanities und Game Studies, nicht zwingend immer in dieser Reihenfolge. Auf Geekgeflüster schreibe ich seit 2012 über Popkultur, inzwischen oft aus einer feministischen Perspektive und manchmal auch über Popkultur und Geschichte, insbesondere Popkultur und Mittelalterrezeption. Außerdem schreibe ich auch für Language at Play. Auf Twitter findet man mich als @hekabeohnename.


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